Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
Absturzes in die Tiefsee vergleicht«. 2 Darüber hinaus haben Wissenschaftler herausgefunden, dass sich bestimmte Merkmale auf verschiedenen Kontinenten fortsetzen. So existieren im Sudan gefaltete Gneismassive, die sich genau so in Guayana, Südamerika, wiederfinden. Paläontologen haben in Afrika und Südamerika Fossilien identischer Tier- und Pflanzenarten gefunden, die niemals den Atlantik überqueren konnten. Deshalb muss in grauer Vorzeit auf der Südhalbkugel eine Landverbindung zwischen Afrika und dem heutigen Brasilien bestanden haben. Man nennt sie Archhelenis. Auf der Nordhalbkugel soll das heutige Florida und die Nordwestküste Afrikas eine Brücke verbunden haben.
Die geltende Lehrmeinung besagt, dass diese Verbindungen irgendwann abgebrochen und im Meer versunken sind. Alle Wissenschaftler sind fest davon überzeugt, dass sich die massiven Kontinente nicht bewegen können. Wegener hingegen hält das Absinken für unwahrscheinlich, denn dann hätten sich dieselben Gesteinsschichten über den heutigen Atlantik hinweg, sprich über mehr als 5000 Kilometer, unverändert fortsetzen müssen. Wegener fährt munter fort in seinen Ausführungen, stellt weitere Gemeinsamkeiten zwischen Europa und Nordamerika fest. So erscheinen die Kohlelager Nordamerikas als die unmittelbare Fortsetzung der europäischen und »Fauna und Flora beiderseits zeigen nicht nur für die karbonische Zeit, sondern auch für die älteren Schichten eine mit wachsendem Beobachtungsmaterial immer klarer erkannte Identität«.
Auch auf der Südhalbkugel macht er verblüffende Übereinstimmungen aus, so dass es für ihn keinen Zweifel daran gibt, dass »auch Australien früher eine direkte Landverbindung sowohl mit Vorderindien wie mit Südafrika und Südamerika besessen hat«. Diese Idee ist nicht von ihm, schon der einflussreiche Wiener Geologe Eduard Suess hat Ende des 19. Jahrhunderts die Existenz eines südlichen Urkontinents vermutet und ihm den Namen Gondwanaland gegeben. Doch wieder deutet Wegener die Entwicklung dieses Kontinents anders als alle anderen Wissenschaftler: Es sind nicht Teile von ihm in den Ozeanen versunken, sondern die Kontinente haben sich in Bewegung gesetzt, so dass Gondwana-Land zerriss.
Wegener weiß natürlich um die Gewagtheit seiner Behauptungen, doch er veranschaulicht den anwesenden Gelehrten die Kontinentalverschiebung. Suess hat auch eine Theorie entwickelt, wonach die Kontinente aus Granit bestehen, der eine etwas geringere Dichte besitzt als der Basalt der Ozeanböden. Wegener behauptet nun, dass die spezifisch leichteren Kontinente in der dichteren, aber weichen Schicht der Ozeanböden schwimmen. Später wird er die driftenden Kontinente mit Eisbergenvergleichen, die im Wasser treiben und von denen nur ein kleiner Teil aus der Oberfläche herausragt. Im Grunde steht dahinter nichts weiter als das Auftriebsprinzip des Archimedes.
Es dürfte wohl ein ums andere Mal rumort haben im Auditorium, aber der junge Privatdozent aus Marburg fährt unbeirrt fort, erklärt die Gebirgsbildung als »Zusammenschub der Kontinentalschollen«, sieht in den »ostafrikanischen Gräben und ihrer Fortsetzung durch das Rote Meer bis zum Jordantal« eine beginnende Abspaltung. Argument an Argument reiht er aneinander, doch auf eine wichtige Frage hat er keine Antwort: Was ist die Ursache für die Bewegung der Kontinente?
Dies zu beantworten sieht Wegener sich »gegenwärtig wohl noch nicht in der Lage«. Er schlägt Gezeitenkräfte des Mondes oder Strömungen im Erdkörper als Ursache vor, aber die Zeit scheint ihm für eine Analyse der Ursachen noch nicht reif zu sein. Damit ist er bei den Zuhörern wohl endgültig unten durch. Von Diskussionen muss wegen der fortgeschrittenen Zeit abgesehen werden, aber bei dem abendlichen gemütlichen Beisammensein im Hotel Westminster dürften die Geologen noch lebhaft debattieren.
Ob Wegener hierbei selbst Rede und Antwort steht, wissen wir nicht, aber die Reaktion auf seinen Vortrag hat seine spätere Frau Else mit klaren Worten charakterisiert: »Er rief einen Sturm der Entrüstung hervor.« 3 Später sollten dann noch sehr deutliche und bisweilen polemische Repliken auf ihn niederprasseln: Von Phantasiegebilde über Fieberphantasie und Krustendrehkrankheit bis hin zur Polschubseuche werden ihm die lieben Kollegen alle möglichen Krankheiten vorwerfen.
Umso erstaunlicher ist nicht nur der Mut, mit dem Wegener den honorigen Wissenschaftlern entgegentritt, sondern auch die
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