Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
weitere Argumente zur Unterstützung seiner Theorie. Sein Werk ist deshalb ein bewundernswertes Beispiel eines interdisziplinären Denkansatzes, sein Arbeitseifer war nahezu unbegrenzt. Nicht selten kam es vor, dass er sich bei seinen Gästen entschuldigte und in seinem Arbeitszimmer verschwand. Von der ersten Auflage seines Buches besaß er ein Sonderexemplar, das zu jeder bedruckten Seite eine gegenüberliegende Leerseite besaß. Hier trug er Anmerkungen, Ergänzungen und Korrekturen für die nächste Ausgabe ein. Auch sein Schwiegervater trat nun zunehmend in die Diskussion ein. Oft wartete er zu Hause ungeduldig auf Wegeners Rückkehr von der Seewarte, um neue Argumentemit ihm zu erörtern. Köppen trug zudem immer einen Globus in der Tasche, um jederzeit seine Überlegungen über Klimazonen überprüfen zu können. In Wegeners Arbeitszimmer stand hierfür ein großer Globus. Der war auch deshalb wichtig, weil manche Kritiker ihre Gegenargumente anhand von Karten vorbrachten. Diese aber verzerren die wahren Proportionen. So verlaufen bei der häufig verwendeten Mercator-Projektion die Längengrade parallel, was insbesondere die Polgegenden stark vergrößert darstellt.
Nach der Veröffentlichung des Buches erhielt Wegener einige Briefe von Kollegen, die sich teilweise in polemischer Form gegen seine Theorie aussprachen. Ein Hauptgrund für die Ablehnung war wohl auch, dass Wegener kein Geologe war, sondern Meteorologe. Was konnte so einer schon von der Erdgeschichte verstehen. Der Geologe Max Semper empfahl Wegener, die Geologie doch besser nicht weiter zu beehren, sondern Fachgebiete aufzusuchen, die bisher noch vergaßen, über ihre Haustüre zu schreiben: »O heiliger Sankt Florian, verschon dies Haus, zünd’ andre an!« 19 Vielleicht war es aber gerade das Außenseitertum, das Wegener den Mut gab, diesen unkonventionellen Gedanken zu verfolgen. Auf jeden Fall ließ er sich von den Kritikern um keinen Millimeter von seinem Weg abbringen.
Nach dem Krieg verbreitete sich die Theorie immer mehr. Wegener schrieb nun auch Beiträge für populäre Zeitschriften und hielt Vorträge. Tatsächlich hatten einige Konferenzen hauptsächlich die Kontinentalverschiebung zum Thema. 1921 gab es eine Doppeltagung in Berlin, wo Wegener zunächst vor Meteorologen und dann vor Geographen sprach. Führende Wissenschaftler wie der Geograph Walther Penck sowie die Geologen Hans Stille, Franz Kossmat und Hans Closs lehnten Wegeners Hypothese strikt ab.
Geradezu überwältigt zeigte sich indes der aus Kroatien stammende Mathematiker Milutin Milankovic: »Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck Ihres glänzenden Vortrags …Dass sich alle geologischen Details in das von Ihnen entworfene Bild nicht ohne weiteres hineinfügen lassen, stört mich nicht im mindesten … Denjenigen hingegen, welche ihr ganzes Leben nur Tatsachen gesammelt und aufgezeichnet haben, mangelt die Fähigkeit, hinter diese Tatsachen tiefer zu blicken.« Sein ehemaliger Expeditionskollege Koch meinte nur: »Die Herren sind wie die Kontinentalschollen, sie lassen sich nur durch ungeheuere, durch geologische Zeiträume wirkende Kräfte bewegen.« 20 Und der Geologe Wilhelm Eckardt hielt es in den Naturwissenschaften mit Schopenhauer: »Der Wahrheit ist ein kurzes Siegesfest beschieden, zwischen den beiden langen Zeiträumen, wo sie als paradox verdammt und als trivial gering geschätzt wird.« 21
Die Kritik der Koryphäen entmutigte Wegener keineswegs, ganz im Gegenteil: Sie schien ihn eher anzustacheln. Im Jahr 1920 erschien die zweite, erheblich erweiterte und veränderte Ausgabe seines Buchs. Hierin verwendete er für den Urkontinent auch erstmals den Begriff »Pangäa«, der sich von »pan« (alles, umfassend) und »gaia« (Erde) herleitet. Doch kaum war das Buch erschienen, suchte er schon nach weiteren Argumenten: »Steinkohle der Kreide in Norddeutschland und Nordamerika. Alttertiär: Gips in Frankreich, Schweiz, Algier«, lesen wir beispielsweise in seinen Notizen. Ein besonderes Gewicht legte er auf Salzvorkommen »in sämtlichen Staaten der Erde«. Kurios erscheint eine Anmerkung über die Ausrichtung der Pyramiden von Gizeh, die bereits 1886 erschienen war und auf die ihn der Geograph und Meteorologe Otto Baschin aufmerksam machte. Demnach verlaufen die Pyramidenseiten bis auf eine halbe Bogenminute genau parallel, aber die Gesamtausrichtung weicht um fünf Bogenminuten von der exakten Westrichtung ab. Schon damals hatte der Autor dieses Berichts
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