Genom
verbrachte er Stunden damit, im Luxus zu schwelgen. Er bedauerte nur die geringe Anzahl (der Stunden), denn er erwachte erst am Nachmittag. So lange hatte er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr geschlafen. Sicher und geborgen in ihrer schicken Wohnung in einem modernen, gesicherten Gebäude konnte er endlich friedlich seine Augen schließen und die automatischen Reflexe, die ihn normalerweise beim kleinsten Geräusch weckten, abschalten. Diese Reflexe waren unverzichtbar, wenn man auf der Straße überleben wollte, wo einem jederzeit jemand die Kehle durchschneiden konnte, der Geld brauchte. Oder neue Schuhe. Zwar würde der Mörder seine Tat bedauern, sobald er merkte, dass er einen ebenso Mittellosen umgelegt hatte, doch es war besser, derart mörderischen Umständen von vorneherein aus dem Weg zu gehen, indem man sich gar nicht erst umbringen ließ.
Auf seinen anfänglich zögernd und später zunehmend zuversichtlicheren Befehl hin bereitete der Kocher in der ordentlichen und effizienten Küche echten Speck (nicht aus Soja) und echte Eier (kein selbst gerinnendes Albumin mit Geschmacksverstärkern) zu, zusammen mit echtem Kaffee, echtem Zucker, echter …
Es war so lange her, dass er etwas Echtes gekostet hatte, dass er bei vielen Dingen fast glaubte, sie zum ersten Mal zu essen. Seine schockierten Geschmacksnerven und sein überwältigtes Verdauungssystem drohten zu rebellieren. Doch diesen Aufstand unterdrückte er gnadenlos, denn das Schwierigste an dieser Mahlzeit war, sie in sich zu behalten. Da er nicht an echtes Essen gewöhnt war, bestand ein hohes Risiko, dass er alles wieder erbrach. Er löste das Problem, indem er sich mit dem Unterhaltungssystem im Wohnbereich beschäftigte. Als er das Vid aktivierte, wurden die Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, stark abgedunkelt und er drohte, erneut ins Traumland abzudriften.
Während er aß und sich entspannte, ignorierte seine Gastgeberin ihn die meiste Zeit. Ingrid saß an ihrer Heimarbeitsstation und wiederholte einen ständigen Strom an Vorec-Befehlen, um sich schneller durch Anzeigen und dimensionale Projektionen zu arbeiten, als wenn sie sie durchlesen würde. Gelegentlich sah er von der ihn umgebenden Unterhaltung und dem Kegel aus gedämpften Geräuschen quer durch den Raum zu ihr herüber. Über ihrer Station konnte er sich schnell abwechselnde Bilder erkennen, die von ineinander übergehend Textfragmenten begleitet wurden. Mehrsilbrige Ausdrücke, technische Begriffe, unverständliche Lexikoneinträge, begleitet von Diagrammen, und Schaltpläne, die ihm so fremdartig waren wie die Baupläne für ein Raumschiff.
Er ließ den Unterhaltungsprojektor laufen, verließ dieGrenzen des davon beeinflussten Bereichs aus Lichtern und Klängen und wanderte durch den Raum, bis er direkt hinter ihr stand. Auf den ersten Blick entdeckte er die Kapsel mit dem rätselhaften Faden, die auf dem kleinen Schreibtisch direkt neben ihrem rechten Arm lag. Er hätte sie sich leicht greifen, herumwirbeln und aus der Wohnung flüchten können. Doch das tat er nicht. Stattdessen deutete er auf die farbigen wissenschaftlichen Projektionen und Anzeigen.
»Was ist das alles?«
Sie antwortete, ohne ihn anzusehen. »Wir wissen nicht, was auf dem Faden ist, aber wenn mein Labor nicht völlig durchgedreht ist, wissen wir wenigstens, woraus er besteht. Ich versuche, herauszufinden, welchem Unternehmen oder welcher Regierung vor Kurzem ein Durchbruch in der Metallurgieforschung, der relevanten Hochdruckphysik oder beiden Gebieten gelungen ist und daraufhin in der Lage war, so etwas herzustellen.«
Er nickte. Was sie da gerade machte, konnte er nicht tun. Er war nicht nur unfähig, die Informationen zu verstehen, die sie benötigte, er hatte überdies auch nicht den Hintergrund, das Wissen oder die Mittel, um das Benötigte überhaupt zu finden.
Während er ihr zusah, wanderte seine Aufmerksamkeit von dem Schwall an unverständlichen Daten zu der technischen Zauberin, die ihn herbeirief. Sie trug ein locker sitzendes einteiliges Kleid aus einem blassgelben Airfleecematerial. Ihr blondes Haar war kurz und streng frisiert (die Zeit und Ressourcen, die Naturals in die physikalische Manipulation ihrer Follikel steckten, versetzte Melds immer wieder aufs Neue in Erstaunen). Was unter dem Airfleece von ihrem Körper zu sehen war, war alles andere als streng. Er fragte sich, warum sie keinen Partner hatte. Um sie das zu fragen, kannte er sienoch nicht gut genug. Anstatt sich
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