Gentec X 02 - Der Untergang von Chicago
Mann, aber jetzt, in der Situation, mehr als überfordert. Ich konnte mir den dicken, sanftgesichtigen Orville vorstellen, mit seiner randlosen Brille und den schütteren Haaren, wie er ratlos den Mund aufsperrte beim Erhalt der letzten Meldungen.
Für die Parteiarbeit und um mit dem Parteiapparat umzugehen, das politische Klima zu beurteilen konnte man keinen Besseren finden. Doch hier ging es nicht um Wahlpropaganda und Wählerstimmen. Die Gencoys waren keine Partei, die sich wählen lassen wollte.
»Gott schütze uns alle!«, sagte der farbige, gutgekleidete Nachrichtensprecher. »Amerika ist im Krieg.«
Es war ein Bürgerkrieg und doch kein Bürgerkrieg, denn die Gencoys waren keine üblichen US-Bürger. Sie bekämpften auch nicht nur die USA. Die Fernsehübertragung endete, dann der gesamte Bildfunk. Vielleicht war es besser so.
Auf keinem US-Fernsehkanal waren noch Übertragungen zu bekommen. Doch ausländische Sender ließen sich manchmal noch empfangen. So waren wir auf Auslandsmeldungen angewiesen, die natürlich ständig erfolgten – aus London, Rom und Berlin, Montreal und anderen Städten.
Die Zentrale im Krankenhaus schaltete um. Per Fernsehsatellit – das Kabelfernsehen gehörte schon eine Weile der Vergangenheit an – erhielten wir die Nachrichten und Sendungen. Für Nick und mich wurde es höchste Zeit, mit der Einsatzleitung der Metropolitan Police Verbindung aufzunehmen. Bisher war es in der allgemeinen Verwirrung nicht möglich gewesen. Die Bilder der Evakuierung Chicagos, die ich im Fernsehen erblickt hatte, verfolgten mich. Es war unglaublich.
Wie bei einer gigantischen Völkerwanderung, im Auto, per LKW und mit Lieferwagen und Bussen, Massen zu Fuß strömten die Menschen aus der Stadt, ins Umland, nicht wissend, wohin. Die Army und die Behörden sollten sie zuerst einmal auffangen und weiterleiten, wobei noch kein Mensch wusste, wie genau das vonstatten gehen sollte.
Es gab Katastrophenpläne – doch auf einen solchen Fall war keiner vorbereitet und bei der praktischen Verwirklichung haperte es. Die Redensart, dass es kein Mensch wusste, gefiel mir nicht mehr. Denn obwohl das der Fall war, die Gencoys wussten es anscheinend besser. Ich fragte mich, was in De Kalb vorging, und wünschte, dass Oldwaters Anwesen dort zerstört und er möglichst geschnappt wurde.
Aber ich hatte da meine Zweifel …
*
Im Krankenhaus war eine Leitzentrale eingerichtet worden, die für das nördliche Chicago zuständig war. Sie erstreckte sich in der Verwaltung, die dafür umgestellt worden war, über zwei Etagen. Es ging alles drunter und drüber, von einer geregelten Arbeit konnte keine Rede sein. Jeder tat das, was er wollte, kaum einer wollte Verantwortung tragen. Keiner wusste so recht, was in einem solchen noch nie da gewesenen Katastrophenfall zu tun sei.
Der Leiter des Chaos war ein hoher Beamter der Chicagoer Stadtverwaltung. Er kommunizierte per Telefon und Chat mit anderen Chicagoer Dienststellen, dem Gouverneur von Illinois und mit allen möglichen Gremien bis hin zur UNO.
Die Notfallhilfe in Chicago war in Gang gekommen, kollidierte jedoch mit dem Räumungsbefehl der Regierung für die Stadt. Manche Feuerwehrleute, Cops, Ärzte, Sanitäter und Mitarbeiter der Städtischen Dienste machten sich aus dem Staub. Die meisten jedoch blieben.
Die Straßenkämpfe und kriegerischen Aktionen, die Gefechte zwischen der vorrückenden Army und den Gencoys waren nicht dazu angetan, die Lage zu vereinfachen. Zudem spielten die Kommunikationssysteme manchmal verrückt, von den Gencoys gestört oder durch Kämpfe und Explosionen unterbrochen. Auch Falschmeldungen der Gegenseite wurden eingeblendet.
Als ich die Zentrale betrat, sah ich Hiram Oldwaters markantes Gesicht auf den Bildschirmen erscheinen.
»Ein glücklicher Planet für glückliche Menschen – Fortschritt für eine neue Welt – durch Gentec«, deklamierte er. »Der Schritt in die Neue Zeit. Gentec verschönert das Leben.«
Zornige Ausrufe der geschockten, verängstigten Menschen in der Zentrale, einem Großraumbüro, erfolgten. Auf den Bildschirmen erschienen nun Werbespots der Gentec-Abteilungen für Geriatrica, Schönheitsmittel und Medikamente aller Art.
Ein Schauspieler pries in den höchsten Tönen die Verdienste des Gentec Konzerns in der Krebsforschung, und dass mit dem Supermedikament Adinon der Aids-Krankheit Einhalt geboten worden war. Ein Aidskranker im letzten Stadium, mit Kaposi-Syndromen übersät, total ausgemergelt,
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