Gentlemen, wir leben am Abgrund
getanzt. Aber nur vielleicht.« Sieben Jahre nach seiner ersten Alba-Saison war Patrick Femerling zurück in Berlin.
1996 hatte Femerling in der Nationalmannschaft debütiert, Vladislav Luši ć war der Coach. Ein untergewichtiger Collegespieler beerbte Hansi Gnad und Christian Welp auf der Centerposition. Fünfzehn Jahre später war Patrick Femerling Rekordnationalspieler, 221 Länderspiele für Deutschland. Seine Mitspieler waren Henning Harnisch und Henrik Rödl, später Dirk Nowitzki und Ademola Okulaja, Mithat Demirel und Marko Peši ć . Die Spieler um ihn herum hatten gewechselt, aber Femerling war geblieben. Er war außer Nowitzki der einzige deutsche Spieler seiner Generation, der sich international durchgesetzt hatte, alle anderen waren ohne internationale Titel geblieben. Nach Michael Koch und Henrik Rödl herrschte Leere, bis Femerling kam. Er wusste, wie man Meisterschaften feiert. Er wusste, wie man Meisterschaften gewann. Er sprach nicht darüber, aber man sah ihm die Erfahrungen an.
Dass seine erste Rückkehr nach Berlin unschön endete, lag an seinem Knie und seinem Coach. Femerling hatte sich während der Hauptrunde erneut am linken Knie operieren lassen müssen, diesmal wurde ein Knochensporn entfernt. Ein paar kleinere Dinge kamen dazu, eine Harnwegsinfektion, eine Grippe. Femerling hatte etliche Wochen gebraucht, um wieder richtig fit zu werden, sein Körper hatte mehr Zeit benötigt als gewohnt. Alba hatte mit Blagota Sekuli ć angemessenen Ersatz verpflichtet, 2,09 Meter, Jahrgang 82 und aus Podgorica wie Pavi ć evi ć . AlsFemerling schließlich fit war, wollte der Coach ihn nicht mehr einsetzen. Es hatte nicht in Pavi ć evi ć s Vorstellung gepasst, einen rekonvaleszenten Center in der entscheidenden Saisonphase zu integrieren. Femerling war damit nicht einverstanden gewesen. Er wollte spielen und wollte der Mannschaft helfen. Femerling war jemand, der ungemütlich wurde, wenn ihm etwas nicht passte. Der Kapitän hatte Krisen überstanden, er hatte Trainer gehen und kommen gesehen, er konnte einstecken, er konnte austeilen.
»Das Seltsame an Patrick«, sagte Konsti einmal, »ist gleichzeitig seine größte Qualität. Dass er nach all den Jahren und dieser Karriere immer noch diesen Furor in sich hat. Er kennt das Geschäft so gut wie kein anderer und kann sich immer noch über schlecht gelaunte Jugos aufregen und darüber, dass die Amis nicht richtig trainieren. Das ist das Business, aber Patrick hat immer noch die Energie, sich darüber zu echauffieren und das auch zu äußern. Ihm sind diese Dinge einfach nicht gleichgültig.«
Pavi ć evi ć hatte Femerling auf die Tribüne gesetzt, also war der Kapitän für eine Saison nach Antalya gewechselt. Er pendelte zwischen der Türkei und Deutschland, telefonierte und verbrachte seine Abende vor dem einzigen deutschen Fernsehsender. »Sonne, Meer und ZDF «, sagte Femerling. »Ich bin mir wie ein Rentner vorgekommen.« Als sich Alba erneut meldete, habe er sich das Angebot angehört und zugesagt. »Ich bin ein Freund klarer Worte«, sagte er. Pavi ć evi ć und er hatten sich unterhalten und er war nach Hause zurückgekehrt.
Der Stau löste sich auf, wir konnten den Bahnhof Friedrichstraße sehen. Es regnete jetzt heftiger. Femerling glaubte mir immer noch nicht, als ich noch einmal meinen Dunking über ihn erwähnte (ich war mir selbst nicht mehr sicher). Er parkte den Wagen vor dem Rehazentrum, wir verabschiedeten uns und ich rannte zum Zug. Kurz hinter Spandau rief ich zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren meinen alten Trainer an. Ob er sich an unsere Spiele gegen Düsseldorf erinnern könne, ob er vielleicht noch ein Video davon habe. Der Trainer hatte ein paar unserer Spiele filmen lassen und die sperrigen VHS – Tapes seit fünfzehn Jahren nicht mehr angesehen. Die Kiste aus den Neunzigern liege irgendwo im Keller seiner Eltern, sagte er, da müsse er erstmal seine Mutter anrufen.Er würde mich zurückrufen, sagte mein alter Trainer, was ich denn jetzt eigentlich mache. Ich schriebe ein Buch über Alba Berlin, sagte ich. Es gehe um Patrick Femerling. »Der war ein Guter«, sagte er. »Der war oldschool.«
Femerlings Kampf mit dem Körper ging weiter. Der Frühling kam, und mit ihm verschwand der monströse Immobilisierungsstiefel. Femerling fuhr mit dem Fahrrad durch die Stadt, hob täglich Gewichte und ließ sich behandeln. Er versuchte, den Rest seines Körpers in Form zu halten, er hängte sich in Schlingen und Gummibänder,
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