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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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trugen die gleichen Bärte und die gleiche Frisur. Es kam zu freundlichen Worten und jovialem Schulterklopfen. Femerling setzte sein höfliches Lächeln auf und schüttelte die angebotenen Hände, weil Händeschütteln ein Teil des Profilebens ist. »Man traut sich gar nicht zu fragen«, sagte einer der Männer. »Fragen Sie einfach«, sagte Femerling. »Wie groß sind Sie?« Femerling lächelte, die drei identischen Männer lachten und eskortierten uns durch die Katakomben. Der Marketingleiter oder Marktleiter lief voraus, dann Femerling, dann die anderen beiden. Femerling bückte sich unter Türrahmen und Deckenverkleidungen hindurch. »Für so jemanden ist das Leben sicher nicht einfach«, sagte der Erste, und der Zweite nickte zustimmend. »Für so jemanden«, flüsterte der Dritte, »muss das Leben fürchterlich sein.«
    In der Bettenabteilung standen die Fans Schlange. Es gab Alba-Basketbälle, Alba-Kissen, Alba-Fahnen. Es gab riesige Femerling-Pappaufsteller, Femerling-Poster, ein Femerling-Gewinnspiel. Es gab ein Glücksrad. Ein paar Cheerleader begrüßten den Kapitän.
    »Endlich gibt es Betten, die uns gewachsen sind« stand auf einem Poster. Das Alba-Bett war eine Sonderanfertigung und stand mitten im Möbelhaus, ein Monstrum in Türkis und Gelb, 2,40 mal 2,40. Der Albatros, das Berliner Maskottchen, saß auf der Bettkante und ließ sich fotografieren. Einer der Männer winkte dem Moderator, einem solariumverbrannten Mittvierziger mit »Hansi« auf dem Namensschild. Er trug bunt karierte Cowboystiefel und schweren Silberschmuck. »Der Kapitän per-sön-lich!«, annoncierte er in sein kabelloses Mikrofon. »Patrick Femerling, ein ganz großer Typ!« Hansi betonte jedes Wort, als wäre es das wichtigste Wort des Satzes, er hatte eine Losbudenstimme, einen Autoscootertonfall. »Das ist ja einfach der Hammer hier und heute!« Er hob den Daumen und führte uns zu einem vorbereiteten Tisch. »Zett, zett, meine Damen«, sagte er, »zügig, zügig!«



Femerling schüttelte Hände, lächelte und schrieb in aller Ruhe Autogramme. »Für den lieben Berndt zum Geburtstag«, schrieb er, und »Für Martina«. Ein Koch in Küchenuniform stand in der Schlange, rotes Halstuch, Blutflecken und das Firmenmännchen auf der Kochbrust. Ein paar Türkenjungs drängelten sich vor, Katja von der Beeck war auch hier wieder dabei und wartete geduldig. Femerling führte den ewigenGrößendialog, er schluckte die Kommentare zur Saison. »Ihr müsst mal gewinnen, Alter, ihr seid Berlin, Digger!«, sagte ein Zwölfjähriger mit Lederjacke und Schnurrbart. »Alter, wenn ich so groß wär’ wie Sie, würde ich den so stopfen, boom!« Femerling wurde ein Piccolo angeboten, aber er blieb beim mitgebrachten Kaffee. Manchmal zeichnete er seinem Gesicht auf der Autogrammkarte Brillen und Schnurrbärte und Augenklappen. Ich hielt mich abseits und schrieb mit. »Ist das dieser Nowitzki?«, fragte eine ältere Dame, die eine Zonenschaummatratze probelag. »Nee«, sagte ihr Mann, »Nowitzki is Handball, gloob ick.«
    Ein schwerer, rotgesichtiger Mann stand zwischen zwei Paravents an einem CD – Player und spielte Klaus Lage. » DJ Murmel jagt geile Mucke durch die Boxen«, sagte Hansi und sang mit, »hau rein, Murmel!« Murmel war ein Freund von Hansi, ein »Kollege«, sagte er und vergaß dabei, das Mikrofon auszuschalten. Er war überall in der Bettenabteilung zu hören, aber niemand hörte ihm zu. »Wir arbeiten bei solchen Events oft zusammen, Stimmung machen und so.« Hansi drehte am Glücksrad und zog weiter durch die Bettenabteilung. Manchmal verschwand er hinter Betten und Möbeln, seine Karussellansagen waren weiter zu hören. Plötzlich tauchte er bei den Cheerleadern wieder auf. »Na?«, sagte er. »Wie heißt du denn? Marie Luise? Hast du einen Freund?« Hansi verschwand hinter einem Stapel Kopfkissen, Murmel spielte Heinz-Rudolf Kunze, Hansi tauchte neben Femerling wieder auf. »Wie groß ist der Ka-pi-tän?«, wiederholte Hansi, denn das war die Preisfrage des Tages. »Einmeterfünfzehn? Zweimeterfünfzehn? Dreimeterfünfzehn?« Hansi sah erwartungsvoll ins Publikum. »Ich glaube ja sechs Meter! Ha!« Hansi hob den Daumen, DJ Murmel lachte. Und Femerling schrieb und ließ sich fotografieren, weil Autogrammstunden und Fototermine zum Beruf des Profibasketballers gehörten.
    Sieben Wochen nach seiner Verletzung standen wir im Stau auf dem Weg zum Bahnhof. Es ging nicht vor und nicht zurück. Vor uns leuchteten Blaulichter, man sah

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