Gentlemen, wir leben am Abgrund
nach dem anderen betraten die Spieler das dunkle Zimmer. An der Wand hatte ein Bild des höchsten Berges Sloweniens gehangen, des Triglav (Dreikopf, 2864 Meter hoch), aber Mijatovi ć hatte es von der Wand genommen und umgedreht in eine Ecke gestellt. Die braunen Gardinen verhängten den Blick auf die Julischen Alpen. Das sei kein symbolischer Akt, erklärte er mir, es gehe allein um die Konzentration der Spieler.
Als Letzter betrat Luka Pavi ć evi ć das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. »Gentlemen!«, sagte er und ging sehr langsam durch den Raum. Er trug eine ausgebeulte graue Trainingshose, die ihm um die Beine flatterte, Joggingschuhe, dazu ein weißes T-Shirt. Gentlemen . Der Coach hatte sich vor einigen Wochen bei einem Veteranenspiel der legendären Jugoplastika-Mannschaft den Rücken verrenkt und die linke Wade verletzt. Es sah so aus, als müsse er ständig die Zähne zusammenbeißen.
Er musterte die Spieler, die Spieler starrten vor sich hin.
»Gentlemen, we have five weeks«, formulierte der Coach kurz, aber archaisch, sein gerolltes R war dabei deutlicher zu hören als sonst. »We are not soldiers, but we are going to war.« Pavi ć evi ć gab die Ziele aus:Die Qualifikation für die Euroleague sei immens wichtig für den Club, aber auch für die Karriere jedes einzelnen Spielers. Die Euroleague, das wüssten sie alle, sei das Höchste für Europa. Dann komme die Bundesliga, dann der Pokal. Es gehe bei Alba um Titel, sagte Pavi ć evi ć , und immer um die Meisterschaft.
Mithat Demirel verteilte Kopien der Teamregeln und Clubgesetze und wirkte dabei vorsichtig. Es war seine erste offizielle Handlung als Teamverantwortlicher. Wer dem Team schade, sagte er, der habe mit harten Strafen zu rechnen, Verspätungen, falsche Kleidung, technische Fouls würden hart geahndet. Und so weiter. Demirel übergab das Wort an den Mannschaftsarzt, und Hi-Un Park erklärte den Spielern, dass sie nichts, rein gar nichts, ohne sein Wissen einnehmen dürften: keine Nahrungsergänzungsmittel aus den USA , aus Serbien oder der Türkei, keine Zusatzpräparate, keine Medikamente. Drogen sowieso nicht. Auch nicht mal kurz kiffen. Wer Schmerzen habe, komme zu ihm, er habe alles, was legal sei. Es werde teaminterne Dopingproben geben, die Nationalspieler würden ja sowieso von der NADA getestet und sollten darauf achten, ihre Meldefristen einzuhalten.
Ich sah mich im Konferenzsaal um, die Spieler scharrten mit den Füßen. Der Coach stellte mich vor: »Wir haben dieses Jahr einen Gast, er schreibt Romane und wird überall dabei sein.« Niemanden schien das zu wundern, niemand reagierte, vielleicht hörten die Spieler auch gar nicht mehr zu. Jeder dieser jungen Männer hatte in seinem Sportlerleben schon unzählige Traineransprachen gehört, jetzt saßen sie hier in einem abgedunkelten Konferenzraum in Slowenien wie Grundschüler nach den Sommerferien. Sie wollten raus und spielen. Pavi ć evi ć nickte und um 18.21 Uhr eröffnete er die Saison: »We have five weeks, gentlemen«, hatte er wiederholt, » Let’s go!«
Jeder Tag war gleich in Kranjska Gora. Wenn Tommy Thorwarth die Spieler gegen halb zehn weckte, war Konstantin Lwowsky bereits ein paar Kilometer die Slava Dolinka entlanggerannt, einen im Sommer spärlichen Wildwasserfluss, der durch Kranjska Gora floss. Für den Assistenztrainer war die Zeit im Trainingslager genauso wichtig wie für die Mannschaft, er brachte sich in Form, denn später im Jahr war dafür zu wenig Zeit. Er würde zu viel arbeiten, um regelmäßig Sport treiben zu können. »Auswärtsfahrten und Trainingslager sind für mich die einzigen Gelegenheiten, zu schlafen und mich richtig zu bewegen«, sagte Lwowsky. Also zog er in Kranjska Gora sein Programm durch: Er stand morgens als Erster auf und rannte durch den Wald, er machte in seinem Hotelzimmer Gymnastik, er hob im Kraftraum Gewichte. Nach dem Abendessen verschwand er ohne viele Worte in seinem Zimmer und sichtete noch ein paar Stunden Videomaterial: Clips möglicher Spieler, ihre Profile und Statistiken. Bei der Teampräsentation ein paar Wochen später würde der Moderator Marco Seiffert Witze über Lwowskys schwankendes Gewicht machen.
Lwowsky war seit zwanzig Jahren Basketballtrainer in Berlin, alle nannten ihn Konsti. In Berlin geboren und aufgewachsen, kannte er die Berliner Basketballszene genau. Obwohl er nie ein richtig guter Spieler gewesen war, war er der geborene Trainer. Seit fünf Jahren arbeitete er bereits für Alba
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