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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Coach saß seit heute Morgen auf der Terrasse des Hotels in einem riesigen weißen Sofa unter Pinien, trank einen Espresso nach dem anderen und fachsimpelte mit seinen Trainern. Professor Mika warf mit Pinienzapfen nach Eichhörnchen.
    Mannschaftsbetreuer Tommy Thorwarth war seit einer Woche nonstop im Einsatz. Bevor die Mannschaft flog, hatte er sein Auto mit Equipment, Vitaminen und Medikamenten voll geladen und war nach Slowenien gefahren. Wenn die Mannschaft jetzt trainierte, arbeitete Tommy an Gewichten. Er war einmal der bissigste Verteidiger Alba Berlins gewesen, aber dann hatte eine Serie von Knieverletzungen seine Karriere beendet. Er hatte danach eine Ausbildung zum Physiotherapeuten gemacht, aber ihm schien das Leben als Profi zu fehlen. Er war körperlich so fit, dass er jederzeit mittrainieren konnte. Er kümmerte sich um alles, Handtücher, Schuhe, Trikots. Heute war sein erster freier Tag seit Wochen. Tommy, der Mannschaftsarzt, und die Physiotherapeuten hatten sich deshalb eine Tageskarte für die Sommerrodelbahn gekauft.

    Ein paar Spieler lagen in der Sonne und sahen den Downhill-Bikern bei ihren spektakulären Stürzen zu. Jenkins saß in der Lobby und sprach mit der Familie in seinem Computer. Der Rest war auf den Zimmern und schlief, weil professionelle Basketballspieler immer und überall schlafen können. Langeweile und Leere vergehen am schnellsten im Schlaf.
    Am freien Tag drehten sich die Verhältnisse: Teammanager Mithat Demirel ließ den Assistenztrainer Konstantin Lwowsky laufen, und die Spieler sahen ihnen dabei zu, Sven Schultze mit nacktem Oberkörper in der Sonne, die Füße auf dem Schiristuhl. Patrick Femerling eine Limo in der Hand, »Mia« und »Caroline« in verschlungenen Buchstaben auf dem Rippenkäfig.
    Vor einer Woche waren wir in Kranjska Gora angekommen, einem slowenischen Wintersportdorf, eine Dreiviertelstunde vom winzigen Klagenfurter Flughafen entfernt. Wir waren gelandet und hatten nervös schweigend auf das Gepäck gewartet. Als es schließlich kam, nahmen Spieler und Trainer automatisch die exakt gleichen Plätze im nächsten Bus ein. Wir fuhren eine Weile am giftgrünen Wörthersee entlang, weiße Segel und Sportboote, ein Stück Postkarten-Kärnten, vorbei an malerischen Bergwiesen und Feuerholzstapeln, Kühen und Sonnenflecken. Im Radio slowenische Schlager.
    Wir überfuhren zwei Grenzen, von Österreich nach Italien und schließlich nach Slowenien. Ich saß an meinem Platz in der dritten Reihe, niemand sprach mit mir. Die Spieler wurden in Doppelzimmer einsortiert, Coaches und Manager wohnten einzeln, die Physios bekamen ein zusätzliches Arbeitszimmer. Die Coaches legten die Zimmerbelegungen fest: wer zu wem passe, welcher Spieler Motivation brauche, welcher Spieler Kontrolle, welcher Ermunterung und welcher Disziplin. Schultze und Femerling in ein Zimmer, weil sie sich kannten? Amerikaner mit Amerikanern? Serben und Deutsche unter sich? Pavi ć evi ć und die Coaches überlegten hin und her. Für die Dynamik und die oft beschworene Teamchemie konnten solche früh getroffenen Entscheidungen von folgenschwerer Bedeutung sein. Die Zimmernachbarn würden das Trainingslager miteinander verbringen, später in der Saison jede Auswärtsreise und die langen, leeren Wochen im Winter, dann die entscheidenden Playoff-Wochen im Frühsommer. Die Zusammenstellung der Spieler war im Vorjahr ein Problem gewesen, innerhalb der Mannschaft hatten sich Blöcke gebildet, ein paar Zimmerkollegen waren aneinandergeraten.
    Ich lauschte und kam mir für dieses Lauschen schäbig vor. Ich starrte auf mein Telefon, als würde ich Nachrichten lesen, um von meinem unbefugten Zuhören abzulenken. Manchmal wechselten die Trainer ins Serbische, ich meinte, meinen Namen zu hören und dass für mich ein Zimmer im Nachbarhotel reserviert sei, die Mannschaft im Hotel Kompas, ich im Špik fünf Kilometer flussabwärts. Alle schienen mir gegenüber eigentümlich achtsam zu sein. Ich fragte mich, ob ich durch das Mithören serbischer Gespräche überhaupt irgendetwas herausfinden würde oder ob mein Profijahr bereits auf der Hinfahrt zum Trainingslager vorbei sein könnte. Ich betrachtete die Blumenwiesen und Nadelwälder und Felsen und fragte mich, warum keiner der Amerikaner aus dem Fenster sah.



Am Abend unserer Ankunft hatte Dejan Mijatovi ć die Vorhänge zugezogen, um die Konzentration zu bündeln. In einem Konferenzraum im zweiten Stock des Hotel Kompas herrschte angespannte Stille, einer

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