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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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aus, wie Tyler, aber niemand sagt etwas. »Taylor, du stehst da wie ein Verkehrspolizist, du winkst ihn durch und nickst freundlich. Go back, Konsti. Hier. Siehst du das?« Taylor sieht das und nickt, Konsti spult, und Gill trifft wieder und wieder.
    »Wenn du mich fragst, Taylor, dann schwitzt Gill dabei noch nicht einmal. Der spaziert in aller Ruhe nach vorne, kommt da gut erholt an und hat noch Kraft für eine gute Aktion. Hier. Das gilt auch für dich, Heiko. Wenn ich so was sehe, könnte ich euch umbringen. Jeder Point Guard in dieser Liga macht gegen uns sein bestes Saisonspiel. Gill. Rice. Wood. Wie sie alle heißen. Wir sind Psychotherapeuten: Wir verschenken Selbstbewusstsein.«
    Jeder Fehler wird mehrfach gezeigt, keiner wird übersehen. Jeder Spieler wird ermahnt, alle sind Verkehrspolizisten, Psychotherapeuten, Kellner, Taxifahrer, Callboys, Lastentiere (»Du stehst da wie ein Esel«, sagt Muli Katzurin, aber niemand traut sich zu lachen).
    Dann wird der Coach konstruktiv. Er fährt mit dem Finger Laufwege auf dem Bildschirm nach. »Hier müsst ihr sein, hier, und hier. Geht nach vorne und stört ihn. Wenn ihr ihm das Leben schwer macht, verliert er auf dem Weg nach vorne Energie und ist am Ende müde. Und wer müde ist, macht die wichtigen Punkte nicht. Also macht Druck.« Coach Katzurin dreht sich zur Mannschaft und sieht einen nach dem anderen an, von links nach rechts. Bryce. Femerling. Staiger. Schultze. Yassin. Julius. Schaffartzik. Mac. Derrick. Rochestie. Raduljica. Tadija. »If we lose this game, your ass is on fire.«
    Déjà-vu auf der Busfahrt: Wir fahren wieder vorbei an der Jacobs-Fabrik, der Geruch von Kaffee hängt über der Autobahn. Auf dem Tisch zwischen Baldi und Demirel liegen die Tageszeitungen der letzten beiden Tage. »Strafe für die Hochnäsigen« schreibt die Berliner Morgenpost , »Tendenz weiter fallend« titelt die Berliner Zeitung , »Alba flattert wieder« steht im Tagesspiegel . Der Boulevard hat Baldis Köder geschluckt, »Prügel-Serie! Baldi geht auf Kruni ć los« weiß die BZ . Die Bildzeitung bezeichnet die Alba-Mannschaft als »Schlaffis« und druckt eine dreisprachige Motivationsansprache Baldis ab, deutsch, englisch, serbisch, am Dienstag legt sie nach und spricht von Zoff. »Alba zeigt Oldenburg-Trainer an« schreibt sie.

    Déjà-vu an der Tankstelle: kurze Hosen und Ölflecken auf dem Boden. Wir kaufen Eis. Chips. Ritter Sport. Tadija kauft drei Rollen Pringles und vier Flaschen Powerade, Katzurin kauft sein Studentenfutter. Yassin kauft die Süddeutsche und den Spiegel. Es könnte ein Gefühl wie Sommerurlaub sein, die Schokolade schmilzt in der Sonne.
    Taylor Rochestie singt wieder, er ist wieder zu Scherzen aufgelegt: »Heute wäre eigentlich unser freier Tag gewesen«, sagt er. »Wir könnten jetzt in der Sonne sitzen, uns einen ordentlichen Sonnenbrand holen, knallrot könnten wir sein. Ich würde auf dem See Tretboot fahren. Elf Tage lang kein Spiel. Der Sommer wäre schön. Fuck!« Rochesties Eis tropft auf sein T-Shirt ( Young & Blessed, Taylor macht Werbung für das Klamottenlabel eines Freundes). »Fuck! Wenn das nicht Grund genug ist, jetzt zu gewinnen und dann fertig mit Oldenburg zu sein, dann weiß ich es nicht!«

    Wir sind unterwegs zum nächsten entscheidenden Spiel, aber die Gespräche im Bus verlaufen wie immer. Sie wandern von Bin Laden und Obama (ernsthaft) über Sport (professionell) zu den üblichen Scherzen, Anekdoten, Beschimpfungen. Ich stelle mir vor, dass Soldaten in Kampfpausen so reden. Was hier gesagt wird, geht unter im Summen der Motoren, und der Rest wird sofort wieder vergessen. Niemand von außen hört zu, also lasse ich mein Notizbuch in der Tasche, um die Unterhaltung nicht zu stören. Die Anspannung ist spürbar, aber die Gespräche bleiben gleich.
    »Alter, warst du das? You sick fuck! Bist du krank?«
    »Der ist nicht krank, der ist am Verwesen.«
    »Es ist ja nicht so sehr der Gestank. Es ist das Brennen in den Augen.«
    »Ich habe was gemacht, was du noch nie gemacht hast.«
    »Ja?«
    »Ich habe vorgestern einen Freiwurf geworfen und gleichzeitig gefurzt. Aber es war so laut in der Halle, dass es niemand gehört hat.«

    »Alter, ich habe neulich gefurzt und gleichzeitig geniest. Das war so laut, dass niemand den Nieser gehört hat.«
    Déjà-vu im Best Western Oldenburg. An den Wänden hängen Bilder eines örtlichen Künstlers, der Promifotos mit Pastellfarben künstlerisch aufpeppt. Albert Einstein. Richard Gere.

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