Gentlemen, wir leben am Abgrund
schlecht, aber sie bleiben dran. 23:29.
Im zweiten Viertel dreht plötzlich Eddie Gill auf, er punktet gegen Rochestie und Schaffartzik nach Belieben. Coach Kruni ć überdreht. Er springt während des Spiels aufs Parkett, gestikuliert, seine Krawatte flattert, er rutscht fast aus, er läuft rot an. Er gibt sein Bestes und bekommt ein technisches Foul dafür. Jenkins trifft beide fälligen Freiwürfe und legt im nächsten Angriff einen Dreipunktewurf nach. Ansonsten wirft Alba jetzt miserabel, führt aber immer noch mit 50:47.
In der Halbzeitpause steht Coach Katzurin ruhig in der Mitte der Kabine. Er geht einmal im Kreis, überlegt und sieht sich um. Dann redet er sich in Rage. »Wir machen dumme Fouls. Idiotisch! Wir verlieren das Reboundduell. Wir geben ihnen viel zu viele Freiwürfe. Oldenburg macht in einer Halbzeit 47 Punkte in unserer Halle? 47 Punkte? In Berlin? Wir müssen als Mannschaft verteidigen. Unser Problem ist nicht die beschissene Zone der Oldenburger. Wir haben keine Probleme, Punkte zu machen. Aber ich spüre eure Energie nicht. Wir sind lasch. Wir sind soft. Wenn die Energie jetzt nicht kommt, dann fahren wir nach Oldenburg. Wollt ihr nochmal zehn Stunden Bus fahren? Wollt ihr das? Kommt schon!«
Das Spiel bleibt offen. Es ist ein schöner Samstagnachmittag, die Halle lacht (der Ernst der Lage ist mir nicht klar). Bei Alba wirkt jede Bewegung ein wenig müder und weicher als beim letzten Heimspiel. Oldenburg bestimmt das Tempo, selbst für Albas knappe Führung zur letzten Viertelpause sind die Gäste verantwortlich. Als Eddie Gill sein viertes Foul kassiert und auf die Bank muss, beschwert sich Kruni ć und bekommt ein technisches Foul, Schaffartzik verwandelt die Freiwürfe zur knappen Führung. 70:67. Aber dann gleicht Oldenburg postwendend aus.
Im vierten Viertel dann die Szene des Spiels: Immanuel McElroy wird auf dem rechten Flügel freigespielt, er bekommt den Ball direkt vor der Oldenburger Bank und Kruni ć ignoriert die Seitenlinie, die Schiedsrichter, die Regeln. Er rennt auf das Spielfeld, Rumpelstilzchen, Derwisch und Hampelmann zugleich. Er rennt von hinten brüllend auf Mac zu, als er zum Wurf ansetzt, er kommt ihm viel zu nah, ein paar Zentimeter. »Shot!« brüllt er, »Shot!« Mac setzt an, verwirft und sieht sich überrascht um, als hätte er das Summen einer Wespe im Ohr. Nichts passiert, Kruni ć wird weder ermahnt noch verwarnt. Femerling neben mir fällt fast vom Stuhl vor Wut, er brüllt die Schiedsrichter an, als das Spiel wieder in unsere Hälfte kommt. Schiedsrichter Tony Rodriguez bittet ihn höflich, aber bestimmt um Mäßigung. Nach Macs Fehlwurf lässt die Konzentration weiter nach, Oldenburg hat die Kontrolle übernommen. Marco Baldi sitzt scheinbar ruhig auf seinem Platz, er scheint in Gedanken versunken. Er scheint sich mentale Notizen zu dieser Szene zu machen. Nach dem Spielwird er Mithat auftragen, mit Jens Staudenmayer zu telefonieren. Kruni ć s cholerisches Mannöver wird auf dem Spielfeld nicht geahndet, aber diese Situation wird mit dem Sportkoordinator der Basketballbundesliga besprochen werden müssen. Konsti wird noch heute Nacht die kritischen Pfiffe zusammenstellen und an das Ligabüro senden.
Luka Pavi ć evi ć hatte Schiedsrichter grundsätzlich für schlechte Menschen gehalten: schlecht ausgebildet, schlecht vorbereitet, ohne Moral und leicht korrumpierbar. Nach jedem Spiel erinnerte er sich sekundengenau an sämtliche Fehlentscheidungen. Er konnte von den Gründen für jeden Pfiff berichten. Auch war er nicht müde geworden, den Alba-Verantwortlichen seine Weltsicht darzulegen. Luka Pavi ć evi ć war überzeugt, dass hinter den Kulissen genauso gespielt wurde wie auf dem Spielfeld. Für ihn ging es um den Schutz der eigenen Interessen, er sprach sogar von Gerechtigkeit.
In den Jahren mit Pavi ć evi ć als Headcoach hatte man bei Alba begonnen, systematisch Videozusammenschnitte kritischer Szenen an die Liga zu schicken. Marco Baldi hatte die Schiedsrichter der Liga öffentlich kritisiert und sich für eine Professionalisierung des Schiedsrichterwesens eingesetzt. Am Anfang waren Reaktionen ausgeblieben und am Ende der Vorsaison war Alba aus sämtlichen Gremien der Liga zurückgetreten, um ein Zeichen zu setzen. In der Sommerpause hat man sich wieder an einen Tisch begeben. Ganz gleich ob Sieg oder Niederlage, mittlerweile tauschte Alba sich nach jedem Spiel mit der sportlichen Leitung der Liga aus. Es geht nicht um Beschwerden, sondern
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