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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Spieler wieder neu um ihre Positionen, ihre Spielzeit und ums Überleben. Sie wussten, dass der Coach Änderungen angekündigt hatte. Nach dem zweiten Training dehnten sich die Spieler länger als gewohnt, der Physio brachte Eisbeutel und Eiswasser und band sie mit Frischhaltefolie auf die malträtierten Gelenke. Es war härter zur Sache gegangen, es stand mehr auf dem Spiel.
    Bei Luka Pavi ć evi ć hatte jeder gewusst, was kommen würde. Jetzt wusste jeder, dass in den nächsten Trainingseinheiten die Rotation und die Teamhierarchie neu geformt werden würden.
    Nach dem dritten Training bat der Physio um eine größere Eismaschine. Eis für die Knie und Sprunggelenke, für die Handgelenke und den Rücken. Femerling saß blass in der Ecke, die Füße in Eiswasser, Eispakete auf den Knien. Er hatte in den letzten Tagen Schmerzen an der Patellasehne, dazu einen Fersensporn und einen schmerzenden Zeh. »Patricks Füße sind weit gereist«, hatte der Physio gesagt, »die sind wie alte Autoreifen.«
    Der Kapitän kam mit den Schuhen des Ausrüsters nicht zurecht, er hatte sie bereits speziell umschustern lassen. Sein Rücken schmerzte, und um das Aufwärmen vor dem eigentlichen Training schmerzfrei zu überstehen, musste er sich eine Viertelstunde dafür warm machen. Seine linke Achillessehne schmerzte und beide Knie. »Das ist jetzt derletzte Schrei«, ächzte er, »Arthrose. Das ist der Trend, das haben fast alle jetzt.« Hi-Un holte ein paar Schmerztabletten aus einer seiner Plastiktüten, Aspirin oder Ibuprofen oder Diclofenac, je nachdem. Er gab sie dem Kapitän. Femerling sah ihn fragend an, dann warf er die Pillen ein und spülte sie mit seiner dritten Flasche Wasser hinunter.
    »Ich möchte nicht in deinem Körper aufwachen«, sagte Konsti.
    Femerling gab dem Doc High Fives und nahm die Füße aus den Eiswürfeln. »Du möchtest dich noch nicht einmal in meinem Körper aufs Sofa legen, Konsti.«
    »Luka Pavi ć evi ć hat großen Einfluss auf die Liga, die Spielkultur und unser Team gehabt«, sagte Axel Schweitzer in der Pressekonferenz am nächsten Morgen. »Wir halten ihn nach wie vor für einen der besten Trainer Europas.« Der Aufsichtsratsvorsitzende von Alba Berlin saß mit Coach Katzurin und Marco Baldi auf einer eigens aufgebauten Bühne im zwölften Stock des Andel’s Hotel Berlin. Links hinter ihm war in einiger Entfernung die O2 World zu sehen, rechts der Fernsehturm.
    Alle waren da. Das Fernsehen. Das Radio. Es gab Frühlingsrollen und Samosas, es gab Desserts in kleinen Gläsern. Dazu Orchideen. Die Pressekonferenz wirkte wie ein absurdes Festessen. Die Schreiber, die vor ein paar Tagen noch Konsequenzen für Luka Pavi ć evi ć gefordert hatten, dippten jetzt ihre Satayspieße in Erdnusssoße. Die Kameras klickten. Einige von ihnen hatten gestern noch vor der Trainingshalle gestanden, um Coach Katzurin an der Tür zum Trainingszentrum abzufangen, jetzt schrieben sie mit.
    Axel Schweitzer honorierte Luka Pavi ć evi ć s Arbeit und formulierte die sportlichen Ziele von Alba Berlin. Schweitzer war so etwas wie der Besitzer von Alba Berlin, die Alba Group war Namens- und Geldgeber. Im Grunde war Alba Berlin ein Teil der Firma, die Schweitzer und seinem Bruder Eric gehörte. Die beiden hatten das Recyclingunternehmen und den Basketballenthusiasmus von ihrem Vater geerbt. Axel Schweitzer war erstaunlich jung und erstaunlich oft beim Training anzutreffen, in T-Shirt und Baseballmütze. Er spielte selbst. Oft kam er mit seinem Sohn. Jetzt trug er Anzug. Auf dem Podium wirkte sein Wirtschaftsvokabular metierfremd, aber der Situation absolut angemessen. »Wir wollen am Ende der Saison Deutscher Meister sein, wir wollen ganz oben stehen«, sagte Schweitzer, »deshalb dieser Wechsel.«
    Marco Baldi sagte, was bei einer Pressekonferenz gesagt werden muss. Muli Katzurin sei der Wunschkandidat gewesen, er habe für Alba eine Festanstellung beim Israelischen Basketballverband aufgegeben. Coach Katzurin saß neben ihm auf der Bühne. Marco Baldi war ein Mann, der wichtige Entscheidungen nicht schnell und impulsiv traf, sondern erst nach reiflicher Überlegung. Er wusste um die Kurzlebigkeit von Kritik, also bewahrte er Ruhe. Aber die letzten Wochen hatten auch ihm zugesetzt.
    Der Manager wollte, dass die Mannschaft wieder gewann, also beschwor er zum zweiten Mal in zwei Tagen bessere Zeiten. »Es gibt unter uns ja immer Propheten, die die Zukunft schon kennen und wissen, was als Nächstes passiert. Sie alle hier

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