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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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wissen, dass Alba Berlin über den heutigen Tag hinausdenkt. Aber wir haben nur einen Vertrag bis zum Saisonende verabredet. Unsere volle Konzentration gilt dieser Saison. Wir wollen nicht über die nächste oder übernächste Saison reden. Wir wollen in dieser Saison unsere Möglichkeiten ausschöpfen. Und dann werden wir sehen, wo wir landen. Unsere Konzentration gilt dem Heute und dem Jetzt und was in dieser Saison passiert.«
    Ich wusste wenig über Muli Katzurin und würde in den nächsten Monaten wenig erfahren. Er war ein reservierter und skeptischer Mann, er benutzte Ironie als Waffe, Humor war sein Rückzugsort. Er hatte viel gesehen, er war seit zwanzig Jahren Trainer im Ausland. Er saß in aller Ruhe auf dem Podium, begrüßte die Journalisten und skizzierte in kurzen Sätzen, wofür er als Trainer stand und was er mit der Mannschaft vorhatte. Er hatte braune Augen, einen militärischen Kurzhaarschnitt und den Spitznamen Sergeant. Katzurin sprach nur mit der Presse, um zitiert zu werden.
    »Ich sage immer, was ich denke, und ich denke immer, was ich sage«, erklärte er. Ehrlich & direkt notierte sich eine Journalistin im roten Kostüm neben mir.
    »We need noise«, sagte Coach Katzurin, »wir brauchen die Atmosphäre der Halle.« Publikumsorientiert schrieb die Journalistin. Will Emotion!

    »Werden Sie personelle Änderungen im Team vornehmen?« Katzurin schmunzelte. »Der Kader ist exzellent. Sollte sich etwas ändern, werden Sie davon erfahren, wenn wir die Änderungen gemacht haben. So läuft das in diesem Geschäft. Aber erst mal wollen wir das Beste aus den Spielern herausholen«, sagte Coach Katzurin, und die Frau im roten Kostüm notierte Team wird sich verändern in ihrem Block.
    Katzurin beherrschte das Frage-und-Antwort-Spiel, er lieferte die benötigten Zitate. »Ich hasse es zu verlieren«, sagte er, »der Spielplan ist eine Tatsache« und »Basketball ist Basketball.«
    Luka Pavi ć evi ć hatte immer versucht, sein Spiel in allen Facetten zu erklären und begreiflich zu machen – und in gewisser Weise auch sich selbst. Pavi ć evi ć war Dompteur gewesen, Muli Katzurin war, wie sich herausstellen sollte, ein durchtriebener Zoowärter. Er betrat den Raum mit einem Eimer schmackhafter Häppchen, erledigte die Fütterung und ging wieder. Manchmal würde er nach Pressekonferenzen den Kopf schütteln. »Same questions«, würde er sagen, »same answers«.

    Zurück an der Peripherie von Sevilla. Konsti und ich liefen jetzt zwischen Orangenbäumen und Einfamilienhäusern entlang, ab und zu kickten wir eine Apfelsine zur Seite. Wir liefen langsam, es gab viel zu erklären. Ich fragte nach und Konsti erklärte mir die unterschiedlichen Philosophien und Stile, er erklärte mir Luka Pavi ć evi ć und Muli Katzurin. Der Basketball von Coach Katzurin unterscheide sich grundlegend von Lukas Basketball, sagte er. »Muli will über das ganze Feld hohen Druck ausüben, er will, dass die Spieler aggressiv und weit vorne verteidigen. Im Angriff sollen sie selbst Entscheidungen treffen und nicht auf Ansagen von außen warten. Er will den Fast-Break, und wenn das nicht geht, will er trotzdem abschließen, bevor der Gegner sich sortiert und organisiert hat. Er will, dass die Spieler intuitiv die richtigen Wege laufen. Schnell. Selbstständig. Sie sollen die richtigen Blocks setzen, Side Pick & Roll und den nachkommenden Spieler finden, den Trailer. Das ist die zweite Welle, das sind die ersten sieben Sekunden des Angriffs. Und wenn das nicht geht, haben wir immer noch unsere festen Sets. Gerade in der Verteidigung hat Muli ein größeres Arsenal, manchmal spielt er eine israelische Zone.«

    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Im Prinzip bleiben alle stehen, und der Gegner läuft sich tot. Luka war für Perfektion, Muli will Variation.«
    Während er sprach, wurde Konsti schneller. Es war halb neun, die Sonne über Sevilla stieg. Zwischen den Hochhäusern und Tiefgaragen wurde es wärmer. Die Autos hupten ohne Unterbrechung. »In der Theorie klingt das alles logisch«, keuchte Konsti, als wir quer über den riesigen Kreisverkehr vor dem Hotel liefen. Unter unseren Füßen knisterten alte Palmblätter und Kaffeebecher. Jemand schnippte eine Zigarette in unsere Richtung. Unser Hotel lag an der Pendlerschneise in die Innenstadt. »Die Frage ist nur, wie schnell die Jungs das alles verinnerlichen. Auf diesem Niveau müssen die Körper genauso schnell sein wie der Kopf. Man braucht ein paar Wochen, bis die Körper

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