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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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das verstanden haben.« Wir dehnten uns in der Auffahrt des Hotels, Bryce Taylor brach zu einem Morgenspaziergang auf, Mütter gaben ihre Kinder im Container zwischen den Hochhäusern ab.

    Ich war nicht mehr der Neuling. Im ersten Spiel des neuen Trainers gegen Panellinios Athen setzte ich mich in die Kabine, ehe der Coach kam. Bei Luka Pavi ć evi ć durfte niemand zu den Besprechungen in die Kabine, der nicht unmittelbar zum Team gehörte. Aber die Regeln hatten sich geändert. Ich hatte vorher von »Alba Berlin« gesprochen, jetzt sprach ich von »uns«. Ich hatte anfangs auf der Tribüne gesessen, zehnte Reihe, dann dritte, dann direkt unter dem Korb. Wir waren zwanzig Mann, Baldi und Mithat saßen jetzt auch in der Kabine.
    Ich entschied mich, einfach zu behaupten, dass ich ein Teil des Ganzen sei, und setzte mich ohne offizielle Erlaubnis zwischen Sven Schultze und Tadija Dragi ć evi ć . Wenn mich Coach Katzurin nicht rauswerfen würde, wäre ich im Bauch des Teams angekommen. Ich sah mich um und schrieb in mein Notizbuch, um mir Legitimität zu verschaffen. Niemand beachtete mich, ich fiel nicht auf. Die Spieler hörten Musik, die Scouting-Reports auf den Knien. Tape-Rollen flogen durch den Raum.
    Ausgerechnet jetzt bekam ich eine Textnachricht von Luka. Es geht mir gut, Thomas, danke sehr. All die Zeit und all die Gedanken setzen mir etwas zu, aber ansonsten immer gerne essen oder trinken, Geschichten erzählen und Geschichten hören. Ruf an, wenn du willst. Herzlich, Luka
    Dann öffnete sich die Tür. Die Coaches trugen Blau, Katzurin hatte einen schwarzen und eine Spur zu großen Anzug an, seine Schuhe waren frisch poliert. McElroy öffnete eine Dose Red Bull. Der Coach sprach gedämpft und zögerlich, sein Akzent war deutlich, seine Grammatik taumelte. Er hatte wichtigere Dinge zu tun, als mich zu bemerken. »Guys, vor dem Spiel rede ich wenig«, sagte Katzurin. »What you got, you got.« Die Coaches hatten sich entschieden, Athen über die großen Leute zu attackieren, besonders ihren gefährlichsten Mann Torin Francis in der Mitte. Was man in der kurzen Zeit hatte klären können, war geklärt worden. »Wir wollen rennen. Wir wollen spielen. Wir wollen die Würfe mit Selbstvertrauen nehmen.«
    Coach Katzurin hob die Faust, die Spieler kamen zusammen. Sie hatten viele Trainer erlebt, sie wollten rennen, spielen, werfen. Die Dinge würden besser werden. Die Luft in der Kabine war wie Morgenluft, der Rest der Saison lag ausgebreitet vor uns, alles neu, ein weißes Blatt Papier, ein frisch gewaschenes Trikot, eine Leinwand, ein Wechsel derJahreszeit. Man sah der Mannschaft die großen Vorsätze an. McElroy klatschte in die Hände, wie die Cincinnati Bearcats eben klatschten. Alles konnte passieren. Femerling rief den Schlachtruf, Jenkins, Taylor und Allen beteten, ich betrat mit Konsti die Halle. »Ist nur so ein Flash, aber ich sage dir: Wir schlagen Panellinios mit 20, Trier mit 30 und Sevilla mit 40.« Aber so einfach war es nicht. Alba gewann knapp und kämpferisch 68:65 gegen Athen. Trier schlug man mit 69:75. Dann flogen wir nach Sevilla.
    Marco Baldi fuhr jetzt immer mit. Ich wusste, dass mein Bild von ihm medial verzerrt war. Ich hatte ihn für einen beredten, kalkulierenden Mittvierziger gehalten, der dem Erfolg alles unterordnete. Einen schwäbischen Manager. Einen Narziss, der die Basketballwelt polarisierte. Einen Provokateur. Einen halbitalienischen Paten, der über Schiedsrichterleistungen lamentierte.
    Aus der Nähe sah das anders aus. Wenn wir ankamen, in Hagen oder Tübingen oder Caserta, tauschte er Hemd und Sakko gegen Alba-Hose und Alba-Kapuzenpulli. Turnschuhe. Wenn die Spieler trainierten, machte Baldi am Spielfeldrand Liegestütz und Sit-Ups, er absolvierte sein Stretching-Programm, manchmal warf er ein paar Bälle mit Mithat. Er saß auf der Tribüne und telefonierte, er saß in der Hotelbar und sinnierte. Weizen. Cordsakko. Sportler. Leser. Gemäßigter Zigarettenraucher. Zwei Kinder, lichte Haare und entfernte Ähnlichkeit mit einem Schauspieler, dessen Name mir nicht einfiel. Hat die Basketballwelt gesehen. Name-Dropping war nicht seine Sache, Geschichten von früher schon.
    Marco Baldi war ein Spieler, der durch eine Reihe von Zufällen und Bauchentscheidungen Manager geworden war. Er liebte Basketball. Wenn er konnte, reiste er mit dem Team und saß am Spielfeldrand. »Ich brauche das Gefühl für das Spiel«, sagte er. »Die Vibration des Parketts. Ich will genau sehen und

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