Gentlemen, wir leben am Abgrund
schlechte Erinnerung. Wahrscheinlich ist das nicht gerecht, denn die Frankfurter Halle ist nicht schlechter als die anderen Arenen der Liga. Sie ist nicht sonderlich charmant, sondern ein einfacher Zweckbau für 5000 Zuschauer. Das Publikum sitzt dicht am Geschehen, die Tribünen sind steil, es kann laut werden. Aber die Popcornmaschinen laufen und der Geruchssinn wühlt in der Erinnerung. Für die Berliner Manager und Fans wird die Gegenwart von den Eindrücken des letzten Jahres überdeckt. Die letzte Saison endete für Alba Berlin in dieser Kabine, in diesen Katakomben, auf diesem Spielfeld. Das Ende kam schon in der ersten Playoffrunde, mit drei zu eins verlor man und schied aus. Die Saison hatte trotz aller Erfolge und guten Spiele ein enttäuschendes Ende genommen, die Fans fuhren ernüchtert und angetrunken nach Hause. Ich hatte auf der Tribüne gesessen und den Jubel der Frankfurter beobachtet, darin die gesenkten Berliner Köpfe. Nach dem Spiel hatte ich Henning Harnisch bei einem traurigen Plastikbecher Bier im Nieselregen vor der Halle gefragt, ob die nächste Saison nicht vielleicht die ideale Saison für ein Buch über Profibasketball sei. Es würde sich sicherlich vieles verändern.
Vom letztjährigen Team sind nur noch McElroy und Jenkins dabei, für alle anderen bedeutet diese Vergangenheit wenig. Wir betreten die Hallewie immer 75 Minuten vor Spielbeginn. Derrick Allen hat vor einem Jahr noch für Frankfurt gespielt, jetzt kommt er als Berliner zurück. Er wird trotzdem überall begrüßt, vom Hallenwart, von Vereinsoffiziellen, von Zuschauern. Yassin Idbihi sieht ungewöhnlich konzentriert aus, heute trägt er ebenfalls Kopfhörer. Die Mannschaft denkt von Aufgabe zu Aufgabe, von Spiel zu Spiel. Profibasketballer müssen schnellstmöglich vergessen können, nur die Zuschauer dürfen sich erinnern. Fünfzig Fans sind aus Berlin gekommen, ein paar Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind im Sprinter der Alba-Jugend angereist.
Die Halle ist nicht ausverkauft, aber trotzdem ist die Spannung greifbar. Die Frankfurt Skyliners haben Heimrecht, weil sie nach der Hauptrunde Tabellenzweiter waren. Berlin zahlt jetzt den Preis für die vielen verlorenen Spiele. Sollte es zu einem entscheidenden fünften Spiel kommen, würde es in Frankfurt stattfinden. Aber ein entscheidendes fünftes Spiel will niemand. Mit wem ich auch spreche, alle rechnen mit einem 3:1, mit knappen Matches und einer vorzeitigen Entscheidung. Mit wem ich auch spreche, Frankfurter oder Berliner: Niemand will über die volle Distanz gehen.
Vor drei Tagen haben wir das Viertelfinale gegen Oldenburg gewonnen. Große Erleichterung, deutliches Aufatmen, Klaus Wowereit stand in der Kabine und lud das Team zu sich auf den Rathausbalkon. So schnell, wie er gekommen war, war der Bürgermeister auch wieder verschwunden, die Scheinwerfer erloschen, die Kameras wurden eingepackt. Oldenburg war abgehakt, jetzt kam Frankfurt.
Am Montag nach dem Sieg gegen Oldenburg regnete es, der Regen wusch alles Bisherige weg. Es gab einen halben freien Tag für die Spieler, die Trainer saßen im Trainingszentrum, sahen Videos und sammelten Ideen. Konsti, Bobby und Mauro hatten schon in den letzten Tagen der Viertelfinalserie an der Analyse des nächsten Gegners gearbeitet. Konsti riss die Blätter der Oldenburg-Serie vom Flipchart, Tabula rasa, Bobby schrieb »Frankfurt Skyline« an die Tafel im Trainerbüro. Coach Katzurin saß am Schreibtisch und hörte seinen Assistenten zu.
»Ich habe vor niemandem Angst, nur vor Wood«, sagte der Coach. »Wenn wir die anderen nicht stoppen können, brauchen wir gar nichterst nach Frankfurt zu fliegen. Pascal Roller ist gut, aber ihn kriegen wir in den Griff. Quantez Robertson verteidigt, aber wir sind bessere Angreifer. Gordon Herbert ist ein guter Trainer, aber er hat nicht die Spieler. Frankfurt ist Wood. Ohne Wood würden sie so gerade eben um die Playoffs kämpfen.«
Coach Katzurin kaute an seiner Brille und blätterte in seinen Notizen, dann sah er auf. »Wir wollen, dass Wood den Ball so wenig wie möglich in den Händen hat. Und heutzutage dürfen wir ihn auch nicht einfach abknallen. Also: Was machen wir?«
Der Spielmacher der Frankfurter, DaShaun Wood, war der beste Werfer der Liga und ihr wertvollster Spieler. »Die anderen werfen, um zu werfen«, sagte er von sich, »ich nehme die Würfe, um sie zu treffen.« Vor Frankfurt hatte er sich zwei Jahre lang in Italien mit Verletzungsproblemen herumgeschlagen. Gordon
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