Gentlemen, wir leben am Abgrund
Herbert, der Trainer der Frankfurter, diplomierter Psychologe und gewiefter Taktiker, hatte das Frankfurter Spiel in Woods Hände gelegt. Wood strotzte vor Selbstbewusstsein. Im Spiel schien er jederzeit zu wissen, wo sich seine Mitspieler befanden, er schien schneller zu sein als seine Gegner, körperlich und gedanklich. Seine Überlegenheit war Teil seines Spiels und die Art, wie er seinen Vorsprung nutzte, ließ ihn arrogant wirken. Wood polarisierte. Das Frankfurter Publikum liebte ihn, die Berliner hatte er mit Gesten und Gebrüll gegen sich aufgebracht. Unter Druck spielte er noch besser. Beim Hinspiel im Winter hatte er Alba fast im Alleingang besiegt.
Außer Wood hatten die Frankfurter keine herausragenden Spieler, aber Coach Herbert verstand es, das Beste aus dem Rest der Mannschaft zu machen. Er hatte den soliden Werfer McKinney, den deutschen Verteidiger Bahiense de Mello, den amerikanischen Power Forward Powell, den unangenehmen Finnen Kimmo Muurinen. Sechster Mann war der zähe Center Marius Nolte, ein Arbeitstier, der fehlendes Talent mit Einsatz wettmachte. Nolte kam aus Paderborn, sah aus wie ein Singer/Songwriter und spielte wie ein Holzfäller.
Schließlich war da noch Pascal Roller, Veteran und Regisseur, intelligent auf dem Spielfeld, beredt daneben. Er war der beliebteste Profi derLiga. Wie Femerling und ich war er Jahrgang 1975. Roller war seit zwölf Jahren in Frankfurt, er war hier Meister geworden und hatte das Nationalteam dirigiert. In diesem Jahr stand er nur noch auf dem Spielfeld, wenn Wood Pausen brauchte. Die Frankfurter schienen eindimensional, aber Coach Herbert machte sie unberechenbar.
»Also, was machen wir?«, fragte Coach Katzurin. Er saß in dem weißen Sessel im Trainingszentrum und hörte den beiden Männern zu, ihren Argumenten und Strategien, er sammelte ihre Ideen, er überlegte und entschied. Das war Coach Katzurins Methode. Anders als Luka sah er den Dingen zu, machte sich seine Gedanken, und traf dann eine Entscheidung. »Wir müssen Wood nach links drängen. Er kann alles, aber wenn er über links geht, wirft er nie. Er passt immer. Bei allen Pick & Rolls mit Wood spielen wir Step-Out , sonst spielen wir wie gegen Oldenburg. Contain . Keine Experimente. No new tools . Wir haben keine Zeit, aber das müssen wir hinkriegen. Und wir müssen reden! Kommunikation!« Der Coach sah Bobby an. »Sonst noch was?«
»Was machen wir mit Patrick und Julius? Julius’ Rücken ist …«
»Julius kommt mit.«
»Und Patrick?«
»Er weiß es noch nicht, aber er bleibt hier. Gewichte und Lauftraining. Er muss fit werden, wir brauchen ihn noch. Ich rede mit ihm.«
»Habt ihr ihn gehen sehen?«, sagte Bobby. »Er läuft wie ein Zombie.«
»Mika soll ein Programm für Patrick machen«, sagte Katzurin. »Sonst schreit er mir auf der Bank die ganze Zeit ins Ohr, und ich kriege Kopfschmerzen.«
Der Coach war Ironiker, er sagte Dinge und meinte das Gegenteil, er freute sich über den Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeintem. Er wurde nicht immer verstanden. Der Coach wusste, dass die Mannschaft ihren Kapitän brauchen würde. Er wusste, welche Schlachten Femerling geschlagen hatte. Katzurin wollte dem Körper seines Centers drei Tage und Nächte in Flugzeugen, Bussen und Hotelbetten ersparen. Ohne nennenswerte Bewegung. Und alles nur, um auf der Bank zu sitzen. Miro Raduljica und Yassin Idbihi würden die Fünferposition gegen die kleineren Frankfurter gut besetzen. In einigen Tagen wäre der Kapitän wieder voll belastbar. Ein gesunder Femerling gegen Bambergwar besser als ein noch nicht bereiter Femerling gegen Frankfurt. Aber der Coach wusste, dass Patrick Femerling unbedingt wieder dabei sein wollte. Er würde seinem Center die Situation erklären müssen, aber Bobby war bereits aus der Tür, um mit Professor Mika zu sprechen. Katzurin wusste, dass Bobby seine Ironie oft missverstand, er kannte die Stille-Post-Kommunikation seines Teams. Er ahnte, was kommen würde. Der Coach sah Bobby nach und schüttelte den Kopf. »A misunderstanding waiting to happen.«
Wir sind nach Bad Homburg gefahren, die Silhouette Frankfurts im Dunst jenseits der Felder, die knisternde Euphorie der Zeitungen vor uns (»Der Albatros fliiiiiiiiiiegt!«). Ich habe die italienischen Kopfhörer dabei (Bright Eyes, One for You, One for Me ). Wir haben trainiert, wir haben geschlafen, wir haben gegessen.
Abends ein vorsichtiges Bier mit Baldi und Demirel in der Hotelbar. Die Stimmung ist durchsichtig,
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