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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Bussarde, die wie Aasgeier aussehen, am Straßenrand liegt eine tote Gans, die wie ein Albatros aussieht. Nach dem Lauf wieder völlig fasziniert vor der Fotowand in der Hotellobby gestanden und die Gesichter betrachtet: Harald Juhnke, Evelyn Hamann, Eugene Holmes, Wim Thoelke, Felix Magath. Und Otto. Für alle Romantikhotels dieses Landes gilt: Wenn wir ankommen, war Otto Waalkes schon da.

    Wir kannten das Hotel, ein überraschendes Gehöft im Nichts, rustikal und riesig. Am Wochenende kamen Ehepaare hierher, unter der Woche außereheliche Affären. Und Basketballmannschaften. Das Hotel hatte eine Tennishalle und eine Wellnesslandschaft, perfekt für die Zeit zwischen Shootaround und Spiel. Coach Bobby war ein passionierter Saunagänger, ich wollte lesen. Gerade hatte ich Wasser aufgegossen, als Bobby die Tür öffnete, eingewickelt in Handtücher und Bademäntel und Stoffslipper.
    »Darf ich?«, fragte Bobby, denn er ist ein höflicher Mann.
    »Klar«, sagte ich. Bobby pellte sich aus seiner weißen Schale wie Calimero aus dem Ei.
    Er sah mich fragend an und goss dann Wasser auf den Ofen. Dann setzte er sich.
    »Hör zu«, sagte er. »I’m afraid, I’m very afraid.«
    Das letzte Mal, als ich mit Bobby in der Quakenbrücker Sauna gesessen hatte, war im Februar gewesen. Das Team steckte mitten in einer Niederlagenserie, die Stimmung war miserabel. Luka Pavi ć evi ć war gerade erst beurlaubt worden, Muli Katzurin hatte ihn ersetzt. Wir waren nach Sevilla geflogen. Bobby hatte ständig mit seiner Entlassung gerechnet und überall seine Taschen und Täschchen mit sich herumgeschleppt. Coach Katzurin hatte angefangen, mit den Spielern zu arbeiten, aber das Team und er mussten sich noch aneinander gewöhnen.
    Alba verlor in Sevilla, Alba ging gegen Bonn schmählich unter. Die ständig gestellte Point-Guard-Frage war noch nicht beantwortet. Heiko Schaffartzik war zwar bereits nachverpflichtet worden, aber noch nicht richtig angekommen. Am Tag vor unserer Anreise war Hollis Price entlassen worden, und die Spieler hatten sich darum gestritten, wie viel sein zurückgelassener Fernseher wert war. Sein Name auf der Buchungsliste des Hotels war einfach durchgestrichen. Mithat und Baldi sprachen damals über den Point Guard Taylor Rochestie. Marinovi ć s Zukunft war ungewiss. »I’m afraid. I’m very afraid«, hatte Bobby auch damals gesagt und Wasser aufgegossen. »Ich glaube nicht an diese Jungs. Ich habe große Angst. Wenn wir dieses Spiel und das nächste verlieren, sind wir in einer richtig beschissenen Lage.« Im Pokalspiel gegen die Artland Dragons hatte der gegnerische Aufbauspieler Tyrese Rice 21 Punkte erzielt und das Spiel gewonnen.
    Coach Bobby hieß eigentlich Boban Mitev, wurde aber von allen nur Bobby genannt. Sein Name passte zu seiner gedrungenen Gestalt. Wenn ich Bobby sah, dachte ich an Karlsson vom Dach. Bobby trug Hosenträger. Bobby war nur zwei Jahre älter als ich, aber er kam mir ungleich älter vor. Er hatte ein trauriges Wesen. Bobby kam aus der mazedonischen Hauptstadt Skopje, war aber seit fast zwanzig Jahren Basketballtrainer in Polen, Russland und den ehemals jugoslawischen Staaten. Er sprach Polnisch, Serbisch, Englisch und Mazedonisch. Er war ständig unterwegs und ständig war er bereit zu gehen.
    Bobby war ein Mann der Widersprüche. Wenn er über Basketball sprach, blitzte sein enormes Fachwissen durch. Er bezeichnete sich als Pragmatiker, aber er trug Amulette, Gebetsketten und Talismane. An das Revers seiner Anzugjacke steckte er ein orthodoxes Kreuz. Das Profigeschäft sah er völlig unromantisch. Er war religiös, und zusätzlich war er Zwangsneurotiker und Mystiker. Wie viele Basketballvagabunden erzählte er seine eigene Geschichte als Heldensage, er erzählte von Siegen und Desastern, Meisterschaften und Räuberpistolen.
    Bobby konnte den Titty-Twister-Monolog aus Quentin Tarantinos From Dusk till Dawn komplett zitieren und tat das auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit, im Flugzeug, in der Sauna oder beim Frühstück im Romantikhotel Aselage. »All right«, sagte er am Frühstücksbuffet, einen Teller Rührei in der Hand. »We got white pussy, black pussy, Spanish pussy, yellow pussy, we got hot pussy, cold pussy, we got wet pussy, we got«, hier machte er eine dramatische Pause, genau wie im Film. Er sog die Luft durch die Nase, als würde er den frischen Kaffeeduft inhalieren, dann ging er proklamierend weiter. »Smelly pussy, we got hairy pussy, bloody pussy, we got

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