Geopfert - [Gus Dury ; 1]
Rauch ins Gesicht. »Wenn ich rauskriege, dass du mich verarschst, komme ich zurück und schneide dir die Nieren raus.«
Er schaute weg und zog einen Schmollmund wie ein verwöhntes kleines Kind. Dann wimmerte er wieder rum.
Ich packte sein Kinn, drehte sein Gesicht zu mir, bis er mich ansah, und sagte: »Und das jetzt gibt’s extra.«
»Was?« Wieder packte ihn die Angst. »Was …? Was …?«
»Nenn’s Rückzahlung …«
Ich versenkte meine Faust in seinem Gesicht, hörte das Krachen von berstenden Knochen und wusste, dass seine Nase Geschichte war. Er war bewusstlos.
»Für Milo.«
I ch kehrte in mein Zimmer zurück. Ich musste hier raus. Meine Hände zitterten. Ich führte es auf den Alk zurück, fürchtete aber, es könnte doch etwas anderes sein.
Ich nahm mir die Zeit für ein ausgewachsenes schottisches Frühstück: ein großes Alka-Seltzer und zwei Aspirin. Hörte Dennis Hoppers unsterbliche Worte durch meinen Kopf spuken: »Alkohol, es gibt keine vergleichbare Droge, die dich so high macht … und dann wieder so tief abstürzen lässt.«
In meinem Kopf drehte sich alles, der Kater schraubte die Drehzahl weiter hoch. Ich brauchte unbedingt Zeit zum Nachdenken, Raum zum Manövrieren.
Ich lief auf die Straße hinaus, rüber zu dem 7-Eleven. Schnappte mir zwei Packungen Tee – das wirklich gute Zeugs von Twinings – und latschte zurück zum Fallingdoon House.
»Milo? Sind Sie schon auf?« Ich stand auf dem Flur und hämmerte an seine Tür, während ich die ganze Zeit über die Treppe hinauf nach Stalin Ausschau hielt.
»Milo? Sind Sie …«
Der Schlüssel drehte sich im Schloss, und unendlich langsam öffnete sich die Tür knapp drei Zentimeter breit.
»Ah, Sie sind’s«, sagte Milo. »Kommen Sie rein, Mr. Dury.«
Milos Bewegungen wirkten langsamer als gewöhnlich. Ich sah seine nackten Füße, blau und knotig auf den kalten Bodendielen. Es zerriss mir fast das Herz.
»Meine Güte, heute Morgen sind wir aber mal ein Frühaufsteher. Ts-ts-ts … ein richtiger Frühaufsteher sind Sie.« Er schien über dem Bett zu schweben, seine spindeldürren Handgelenke sahen aus, als könnten sie brechen, wenn sie die weiche Matratze berührten.
Milo brauchte eine Ewigkeit, um sich hinzusetzen. Als er es schließlich geschafft hatte, zog der Schmerz zwei fette Traktorspuren über seine Stirn.
»Ich hab Ihnen das hier mitgebracht«, sagte ich.
»O Jeee-sus … das wär’ doch nicht nötig gewesen.« Milo streckte sich, so weit es ihm irgend möglich war. »Ich setz uns einen Kessel auf für ein Tässchen.«
»Nein« – ich gab ihm zu verstehen sitzenzubleiben – »ich kann nicht bleiben, Milo.«
»Dacht’ ich mir schon.« Er blickte zu dem Kreuz über seinem Bett auf, ein großer hölzerner Christus hing an Ort und Stelle, wo er für all unsere Sünden litt. »Sie sehen, wenn ich das mal so sagen darf, ein bisschen beunruhigt aus – stecken Sie in Schwierigkeiten?«
»Ich – ich muss nur weg.«
»Und das, wo wir gerade beginnen, so gute Freunde zu werden.«
»Die besten Freunde.«
Er sah mich wieder an. Ich bemerkte das Blau seiner Augen, als sie mich fixierten.
»Hören Sie … ich bin bald zurück. Ganz bald. Es ist nur … nun, ich denke, man könnte sagen, ich habe da ein kleines Problem, um das ich mich kümmern muss.«
»Kann ich helfen?«
Fast hätte ich laut gelacht, so wie er aussah.
»Danke«, sagte ich, »aber ich schaff’ das schon.«
Mir fehlten die Worte. Uns beiden. Ich hatte das Gefühl, als würde ich den alten Knaben hängenlassen, ihn einem düsteren Schicksal überlassen.
»Milo, ich möchte, dass Sie mich sofort anrufen, falls das Arschloch Stalin Ärger macht, hören Sie?« Ich kritzelte meine Mobilnummer auf die Rückseite des Kassenbons aus dem 7-Eleven und klemmte ihn unter ein Glas auf seinem Nachttisch. »Haben Sie das verstanden, rufen Sie mich an – bei der kleinsten Kleinigkeit.«
Er starrte die Wand an. Es gab nichts mehr zu sagen. Ich fand, eigentlich müssten wir uns die Hand schütteln oder, Gott bewahre, umarmen. Aber ich ließ ihn einfach allein mit seinen Ängsten, während ich mit meinen Schuldgefühlen verschwand. Ich ließ ihn im Stich. Hatte ich denn kein Rückgrat?
Ich trottete zurück zu meinem Zimmer und packte meinen Kram zusammen, viel war es nicht, alles in allem eine Tasche, meine Jeansjacke und eine fast leere Flasche Johnnie Walker. Ich hatte auch noch irgendwo Fluppen und Streichhölzer, aber, scheiß der Hund drauf, keinen Bock zu
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