Geopfert - [Gus Dury ; 1]
Tür.
»Gus – Gus, du Bastard, wir haben doch noch gar nicht die Rechnung bekommen!«
W ar’s die Mühe wert?
Ich meine, was hatte ich denn, fragte ich mich. Und kannte die Antwort – null. Ich hatte wild um mich geschlagen, meine Nase hineingesteckt, hatte aber absolut nichts für Col. Abgesehen vielleicht von einer weiteren Einladung zu einer Beerdigung. Schon sehr bald.
Ich ging in einen Zeitungsladen und kaufte eine Packung Fluppen: Camels, die starken. Ihr Geschmack kam mir vor wie ein Segen. Um die Wahrheit zu sagen, mir war nach Alk, mindestens ein Glas oder auch zehn. Aber etwas, vielleicht war es Macs Warnung, ließ mich weitergehen.
Mein Kopf fühlte sich ganz benommen an. Ich hatte so viele Hochs und Tiefs hinter mir, dass ich mich ernsthaft fragte: Bin ich vielleicht manisch-depressiv? Sorry, heute nennt man das bipolar affektiv gestört, richtig? Ich weiß nicht … wusste ja heute nicht mal mehr, wie man Adidas richtig aussprach.
Was du brauchst, ist ein Tritt in den Hintern! Die unergründliche Stimme schottischer Weisheit mischte sich ein.
Die Schotten kennen kein Selbstmitleid. Todessehnsucht, ja. Bis zur Besinnungslosigkeit saufen, um alles auszublenden, ja. Aber niemals Selbstmitleid. Ich führte es auf die absolute Tristesse der schottischen Geschichte zurück. Auf den Kampf, einfach nur über die Runden zu kommen. Das schiere Leiden. Ich meine, wie sonst will man eine arme Nation wie diese überreden, sich selbst aus der Scheiße zu ziehen? Der Mythos von der Würde im Leiden. Ist Scheißeschaufeln, Sich-die-Lungen-mit-Kohlenstaub-Füllen gut für die Seele? Schwachsinn. Schon eher gut für die Bankguthaben der Unternehmer.
Sprang in den 26er-Bus zum Wall.
Sah dort drinnen sämtliche Stammgäste aufgereiht hocken, einige der vertrautesten Gesichter nickten mir zu. Derjenige, von dem ich eigentlich erwartete, dass er mich mit der größten Begeisterung begrüßte, stierte auf den Fernseher.
»Col, wie geht’s?«
»Pst-pssst«, machte er, winkte nervös ab.
»Muss gut sein, was ist es, Debbie Does Dallas ?«
Ein vernichtender Killerblick in meine Richtung. Fettes Stirnrunzeln, alles eben.
Ich wandte mich ab, setzte mich an die Theke. Col drehte die Lautstärke der Nachrichtensendung hoch, Scotland Today .
Der Beitrag kam vom neuen Parlamentsgebäude. Ich schüttelte den Kopf. »Absolute Geldverschwendung!«
»Aye. Aye. Aye«, echote ein Chor an der Theke.
»Hast du das gehört, Kumpel?« Ein Kerl, den ich noch nie in meinem Revier gesehen hatte, rückte an mich heran, sein Gesicht ein Schlachtfeld roter Flecken, dazu eine blaue Säufernase. »Die können die Bude nicht mal richtig heizen, es spuckt die Hitze förmlich raus! Siehst du, die haben eins von diesen Heißluftgebläsen drauf gerichtet. Hab die Bilder in der Zeitung gesehen, was für ein verdammtes Geldgrab!«
»Hör mal, geht’s vielleicht auch ein bisschen leiser?«, fauchte Col.
Ich zog die Augenbrauen nach oben und sah den Kerl scharf an. Er ließ die Schultern hängen, ein alter Trainingsanzug aus den Neunzigern schlabberte um ihn, Bier schwappte aus dem Pint in seiner zitternden Hand. Acryl und Alkohol – eine schlechte Kombination –, er riskierte, bei seiner nächsten Kippe in Flammen aufzugehen wie die Hindenburg.
Ich drehte mich wieder zur Glotze um. Die Reporterin sah aus wie ungefähr siebzehn. Wie machen die das? Zu meiner Zeit war das Fernsehen ein großes Ding. Nur die besten Schreiberlinge kamen dort unter. Ausgebildete Schreiberlinge. Nicht so ein kleines Mäuschen, das aussieht, als hätte es sich in Mums Kleiderschrank bedient.
»Die Demonstration begann vor dem Parlament mit Menschen, die Protestplakate schwenkten …«, berichtete sie.
Präzises Zeugs. Erstklassiger Journalismus. »Oh, gebt uns John Craven wieder, bitte. Das sind ja Kindernachrichten.«
Der Wind hinter der Reporterin frischte auf, und ich rechnete schon damit, ein gehetztes »Und nun zurück ins Studio« zu hören, damit ihr Maskenbildnerteam loslegen konnte. Sie fuhr fort: »Die Demonstranten sind Asylbewerber, ihre Familien und Unterstützer, die gegen die Politik der schottischen Regierung sind …«
Sie spielten Bildmaterial von der Sorte ein, bei der Nachrichtenredakteure todsicher zu sabbern beginnen. Frühmorgendliche Razzien, die Polizei brach Wohnungen in Wester Hailes auf, dem Abladeplatz der Stadt für die Vertriebenen. Sie hatten vor, die Illegalen schnell und unnachgiebig auszuweisen.
Die Gesichter der von
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