Geopfert - [Gus Dury ; 1]
»Aids-Hauptstadt Europas« bekommen hatten, war mager sein nicht mehr gleichbedeutend mit gut aussehen.
Ich wartete, bis ich Cols Schritte auf der Treppe hörte, dann holte ich das Tablett rein. Verputzte den Kartoffelauflauf in null Komma nichts. Fühlte mich langsam wieder glücklich und zufrieden, lehnte mich zurück und öffnete den obersten Knopf. Dann fiel mir wieder ein, dass ich ja nicht blieb. Mach’s dir nicht zu bequem, Gus, sagte ich mir.
Lang dauerte es nicht, die Wohnung wieder in Ordnung zu bringen. Ich hob die Kissen auf, räumte die restlichen Trümmer weg und hängte einen Kalender über den Warnhinweis.
Dann holte ich einen alten Lotto-Seesack heraus, den ich zum Sport benutzt hatte, als ich noch gesundheitsbewusst war, einen Job hatte, eine Frau … mit einem Wort: gefestigt war. Ich packte das Notwendigste aus dem Kleiderschrank hinein, dazu eine Handvoll Bücher aus den Regalen. Etwas von Hemingway und Steinbeck, um Edinburgh zu entkommen, und auch was von Nietzsche, damit ich die Bodenhaftung nicht verlor.
In der Kneipe machte ich Col auf mich aufmerksam, der gerade einen Kunden bedient hatte. Ich sah, dass er das Bild meines Vaters abgenommen und es an einen Karton mit Smoky Bacon Chips gelehnt hatte.
Er bemerkte meinen Blick. »Hatte ich schon vor Ewigkeiten abhängen wollen«, sagte er. »Sorry, Gus … muss ichs dann wohl im Trubel des Alltags vergessen haben.«
»Keine Panik.«
»Nein. Nein. Ich weiß doch, dass du mir gesagt hast, ich soll den ganzen Kram auf den Mist schmeißen, nachdem … Tja, und das hier hab ich wohl übersehen.«
»Col, es ist dein Pub. Ich habe überhaupt kein Recht, dir vorzuschreiben, was du an die Wand hängen sollst und was nicht.«
Ein langes Schweigen folgte. Col deutete mit geöffneter Hand auf den Zapfhahn. Ich schüttelte den Kopf.
»Du musst den Mann zutiefst hassen«, sagte er.
»Das siehst du völlig richtig.«
»Er ist dein Vater.«
»Und …?«
»Was immer er getan hat, nichts kann daran etwas ändern.«
Ich funkelte ihn finster an, hob dann den Blick über seinen Kopf zu der Reihe Mixer.
»Ich sag ja nur, Gus. Was immer er getan hat – könntest du ihm nicht verzeihen?«
Ich nahm die Hände aus den Taschen, griff nach dem Seesack und hob ihn schnell vom Barhocker vor mir.
»Ich muss jetzt los«, sagte ich.
Ich drehte mich um und ging zur Tür.
»Warte. Warte doch«, brüllte Col. Er holte mich in der Tür ein. »Ich hab das hier für dich.«
Ich musste nicht nachsehen, wusste auch so, dass es mehr Geld sein musste. Ein dickes Bündel Zehner, aus der Kasse genommen und in einen Umschlag gestopft.
»Nein, Col …«
»Komm mir nicht mit falschem Stolz. Wir brauchen alle viel mehr, als wir manchmal zugeben.«
Da konnte ich nicht widersprechen. »Danke.«
Er lächelte mich kurz an und legte eine Hand auf meine Schulter. »Ich, äh, hab neulich deine Mutter im Supermarkt getroffen.«
»Ja?«
»Sie sagt, Cannis geht’s nicht so besonders.«
Das wieder. Ich ging nicht darauf ein.
»Col, bitte, ich weiß, du denkst, du tust hier was Gutes, aber sprich bitte in meiner Nähe nie wieder den Namen dieses Mannes aus.«
»Ich sag doch bloß … Deine Mutter hat nach dir gefragt, sie wollte, dass ich dir das sage.«
Ich seufzte. »Fein, das hast du dann ja jetzt getan.«
D ie Nacht verbrachte ich in einer Pension im East End. War billig, aber nicht direkt ein Knaller. Wusste, dass ich etwas eher Längerfristiges finden musste, und zwar bald.
Auf dem Weg hinaus klingelte mein Telefon. Es war Amy. »Hi, ich wollte mich gerade bei dir melden«, sagte ich.
»Oh, ein Heiratsantrag? Mit Brilli?«
»Hah! Ich hatte an etwas Günstigeres gedacht.«
»Einen kleinen Rubin vielleicht?«
»Mhmmm … ich dachte eher an die Farbe Orange – den Mobilfunkbetreiber.«
Es folgte ein lautes Seufzen. »Wenigstens weiß ich, dass du mich heute Abend nicht enttäuschen wirst. Unsere Verabredung gilt doch noch, oder?«
Das hatte ich komplett vergessen. »’türlich.«
»Super.« Sie klang begeistert, ich stieg im Wert. »Weil ich nämlich dachte, ich könnte vielleicht etwas früher meine Krallen in dich schlagen und so dafür sorgen, dass du mir nicht wieder abhandenkommst.«
Das war wie eine kalte Dusche, ich wollte von niemandem an die Leine gelegt werden. »An wie viel früher dachtest du?«
»Jetzt so.«
Ich sah auf meine Uhr. War noch keine neun, vormittags. »Wo bist du?«
Plötzlich spürte ich einen kräftigen Schlag auf die
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