Geopfert - [Gus Dury ; 1]
hergekommen war, hatte ich für meine Mutter einen Berg Kummer angehäuft, und der Gedanke daran verletzte mich.
Ich steckte mir eine Fluppe an. Der Qualm füllte im Nu die Küche. Ich öffnete ein Fenster und versuchte ihn nach draußen in den Garten zu wedeln. Als ich mich vorbeugte, sah ich mich plötzlich im Spiegel. Er hatte schon an der Küchenwand gehangen, als ich noch zu klein war, um hineinsehen zu können. Heute musste ich in die Hocke gehen, wenn ich mich sehen wollte. Ich sah aus wie völlig abgebrannt. Rote Ringe unter den Augen, Dreitagebart. Eine gründliche Körperpflege war ebenfalls dringend angesagt.
»Gus, sieh dich doch nur mal im Spiegel an!« Das hatte Debs zu mir gesagt. Ich sah hin, starrte, aber sehen konnte ich nichts. Na ja, zumindest nichts, was ich sehen wollte.
»Ella!«, hörte ich ihn oben rufen.
Es war viele Jahre her, seit ich dieses Brüllen das letzte Mal gehört hatte, aber es hatte sich seitdem kaum verändert.
»Ella. Ella.«
Weswegen rief er denn diesmal? Noch ein Drink? Vom Boden aufhelfen? Ein Topf, in den er pinkeln konnte?
»Ella.« Wieder dieses Brüllen, gefolgt von einem Schlag auf den Boden. Dann noch einer. Drei oder vier in schneller Folge.
»Halt’s Maul …«, sagte ich. Ich spürte, wie meine Stimme allmählich leiser wurde, verstummte. Ich wollte ihn nicht darauf aufmerksam machen, dass ich in seiner Küche stand.
Weitere dumpfe Schläge. »Ella! Um Himmels willen, wo steckst du, Frau?«
»Schicht im Schacht! Ich bin weg!«
Ich drückte meine Fluppe in der Spüle aus. Drehte den Hahn auf, um die Asche in den Abfluss zu spülen, und ließ die Kippe in den Mülleimer fallen.
»Ella. Ella.« Er brüllte immer noch, als ich meine Jacke anzog. Ich knöpfte sie gerade zu, als meine Mutter hereinkam.
»Angus? Wo gehst du hin?«
»Tut mir leid, Mum.«
Sie stand mit offenem Mund da, hielt ein Glas Red Mountain hoch. »Aber ich hab deinen Kaffee.«
Ich wollte zu ihr gehen, sie in meine Arme nehmen. Aber ich konnte nicht.
»Ella – Ella.«
»Ich muss los.«
Sie stellte das Glas ab und geriet in Panik.
»Dein Dad … bist du bei ihm oben gewesen?«
»Nein, Mum. Das kann ich nicht.«
Sie hob eine Hand vor ihren Mund. »O mein Junge.«
»Tut mir leid, Mum. Ich muss los.«
Ich drehte mich um und ging zur Tür.
S chnappte mir die Evening News . Eine Polizeirazzia in einem Haus voller illegaler Einwanderer war der große Aufmacher auf der Titelseite. Ich hatte den Artikel mehrere Male gelesen, bevor ich begriff, warum es mir so ungewöhnlich vorkam. Sie hatten ihre Razzia in Marchmont durchgeführt. Die Preisschildchen an den Häusern dort haben eine Menge Nullen. Ich sah, wir redeten jetzt vom richtig großen Geschäft in dieser Branche.
Ich sprang kurz in eine RS-McColl-Filiale und verlangte ein Päckchen Mayfair. Die billigsten Fluppen im Angebot. Gelb-Finger-Specials. Ich war auf einem calvinistischen Schuldgefühl-Trip, und damit wahrscheinlich der einzige Raucher Schottlands, der seine Fluppen immer noch bei seriösen Einzelhändlern kaufte. Mein Gott, was war nur aus diesem Land geworden? Wenn Otto Normalverbraucher anfängt, seine täglichen Grundnahrungsmittel wie Fluppen auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, stecken wir in ernsten Schwierigkeiten. Das war wie in den Kriegsjahren.
Steckte mir draußen eine an. Keine so üble Zigarette. Wusste aber, wenn ich morgen früh aufwachte, würde ich stinken wie Kneipenvorhänge.
Ich spürte einen Kälteeinbruch anrollen. Sollte mir recht sein, das linderte die Sucht ein wenig. Und ich musste meine fünf Sinne beisammenhaben, wenn ich irgendwas Nützliches aus Fitz the Crime herauspressen wollte. Seit dem Mord an Milo brauchte ich ihn mehr denn je.
Ich war von Albträumen heimgesucht worden. Sie liefen ungefähr so ab: Ich bin wieder im Fallingdoon House, überall Flammen und Schreie … junge Mädchen schreien sich die Seele aus dem Leib. Ich breche durch eine Tür, strecke meine Hand aus.
»Na los! Schnell, gib mir deine Hand!«, sage ich.
Die Flammen züngeln überall um uns herum, aber die Mädchen sehen genauso aus wie an dem Abend, als ich sie sah, wie bleiche graue Gespenster. Halb verhungert und verängstigt. Sie schrecken vor mir zurück.
»Komm schon! Gib mir deine Hand!«, brülle ich.
Ich stürme ins Zimmer, Flammen züngeln an den Wänden, überall nur dichter schwarzer Rauch, der uns erstickt.
»Mein Gott, ich bin nicht euer Feind!«, rufe ich. »Ich bin nicht euer Feind.«
Die
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