Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Titel: Geopfert - [Gus Dury ; 1] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
ihm die Kehle durch, hörst du mich, schneid! Schneid sie durch, jetzt!«
    Ich stehe da mit dem Rasiermesser meines Vaters in der Hand. Völlig regungslos. Ich weiß, dass ich ungehorsam bin und was das bedeutet. Aber ich kann dem Tier nichts tun.
    Das Messer entgleitet mir, fällt zu Boden; dann ein stechender Schmerz auf meiner Stirn. Ich begreife, dass mein Vater mich geschlagen hat. Ich liege auf dem Boden neben dem Messer, und als ich sehe, wie er danach greift, bekomme ich eine panische Angst.
    Als ich aufstehe, spüre ich den kalten Hautfetzen, wo sein Knöchel meinen Schädelknochen erwischt hat. Blut tropft von meinem Kopf, rinnt mir in die Augen und den Mund.
    Ich empfinde keinerlei Schmerz, als ich zusehe, wie mein Vater die aufgeklappte Stahlklinge über den Hals des Lammes zieht. Das Blöken wird für eine Sekunde noch mal schriller, und dann füllt das Blut sein Maul und ergießt sich über sein Fleisch in die Spüle.
    Ich schaue zu, wie das Blut aus dem sterbenden Tier sprudelt. Seine schwarzen Augen starren mir immer noch tief ins Herz. Während ich zusehe, wie das Blut fließt, fühle ich mich, als wäre es mein eigenes, als könnte ich in meinem Mund das Blut von der Wunde schmecken, die mein Vater aufgerissen hat.

E in Speichelfaden klebte mich an die Armlehne der Couch. Ich war schweißgebadet. Alles tat mir weh. »Mein Gott, wo bin ich?«
    Einen Moment lang meinte ich, die berauschenden frühen Stadien des Alkoholismus zu wiederholen. Tage, an denen ich jeden neuen Morgen in einer fremden neuen Umgebung begrüßte. Aber ich wusste, das hatte ich lange hinter mir. Es erfordert eine ernsthafte Anstrengung, sich eine Bude für die Nacht zu sichern. Meine Zeiten an der Theke waren schon seit Ewigkeiten ernsteren Angelegenheiten gewidmet.
    Ich stand auf und versuchte meinen Rücken zu strecken. Vornübergebeugt wie Yoda sagte ich: »Schon bald werde ich ruhen. Ja, für immer schlafen. Verdient hab ich’s mir.«
    Ich begriff, wo ich war. Erkannte die kitschige sternförmige Siebziger-Jahre-Uhr aus Holz über dem Kamin. Rote Glühbirnen wirbelten hinter den schwarzen Plastikkohlen, jemand war hier gewesen, um das Feuer anzumachen.
    Ich sah mich um. War schockiert, mich hier wiederzufinden, vor einer Vitrine voller Pokale für die sportlichen Leistungen meines Vaters. Als Kind kamen meine Freunde immer vorbei und glotzten sie – wie’s mir vorkam – stundenlang an. Mir brachte das auf der Straße haufenweise Ansehen und Respekt ein. Sie kannten ja alle nicht den wahren Preis dieser Pokale.
    In der Küche hörte ich Bewegung. Teller und Tassen wurden auf den Tisch gestellt. Als ich eintrat, stand meine Mutter am Herd und rührte Porridge. Ein gewaltiger Topf blubberte leise vor sich hin.
    »Oh, du bist schon wach, mein Junge.«
    »Guten Morgen, Mum.«
    »Hast du gut geschlafen?«
    »Ja, wie ein Murmeltier«, log ich. »Bisschen steif, aber für ein paar Stunden hab ich die Augen zugemacht.«
    »Kann nicht besonders bequem gewesen sein auf der Couch. Du hättest rauf in dein Bett gehen sollen … Tee?«
    »Äh, nein. Hast du auch Kaffee?«
    »Tut mir leid, mein Junge. Seit du fort bist, trinkt hier niemand mehr Kaffee. Ich könnte kurz nach nebenan flitzen. Wie spät ist es?«
    Ich sah auf meine Uhr. »Kurz nach neun.«
    »Aye, das geht dann. Dot wird schon auf den Beinen sein. Warte, ich hole nebenan Kaffee.«
    »Nein, Mum, nicht nötig. Ich nehme, was da ist.«
    »Ach, nein. Setz dich, mein Junge.« Sie strahlte, überglücklich, mich zu Hause zu haben. Es schien für sie ein ausgemachtes Vergnügen zu sein. Sie benahm sich wie ein aufgeregtes Kind.
    Ich fragte mich, wie ich ihr das nur je hatte vorenthalten können.
    Als meine Mutter ein Kopftuch umband, bevor sie durch die Hintertür nach nebenan flitzte, sagte sie: »Wirst du reingehen und deinen Vater besuchen?«
    »Äh, ich weiß noch nicht.«
    »Er hat noch nicht gegessen. Du könntest ihm sein Frühstück reinbringen.«
    »Mum, ich –«
    »Ach, vergiss es, mein Junge. Nicht so wichtig. Aber falls er ruft, dann gehst du rein.«
    »Weiß er, dass ich hier bin?«
    »Ja. Ich habe es ihm gestern Abend erzählt. Er war überglücklich, muss ich schon sagen.« Sie ging und überschüttete mich mit einem strahlenden Lächeln.
    Was hatte ich getan? Ich hatte nicht das Recht, so mit ihren Gefühlen zu spielen. Ich wusste, wenn ich meinen alten Herrn sah – schwaches Herz hin oder her –, dann würde ich ihm wahrscheinlich eine reinlangen. Indem ich

Weitere Kostenlose Bücher