Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
nichts weniger. Die Unterschiede sind so groß nicht, wir alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem: die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper, sie sind nicht so breit, als man sich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen das treiben alle; die übrigen Dinge sind nur Variationen aus verschiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da braucht man sich auf die Zehen zu stellen und Gesichter zu schneiden, da braucht man sich voreinander zu genieren! Wir haben uns alle am nämlichen Tische krank gegessen und haben Leibgrimmen; was haltet ihr euch die Servietten vor das Gesicht? Schreit nur und greint, wie es euch ankommt! Schneidet nur keine so tugendhafte und so witzige und so heroische und so geniale Grimassen, wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe!
Hérault : Ja, Camille, wir wollen uns beieinandersetzen und schreien; nichts dummer, als die Lippen zusammenzupressen, wenn einem was weh tut. Griechen und Götter schrien, Römer und Stoiker machten die heroische Fratze.
Danton : Die einen waren so gut Epikureer wie die andern. Sie machten sich ein ganz behagliches Selbstgefühl zurecht. Es ist nicht so übel, seine Toga zu drapieren und sich umzusehen, ob man einen langen Schatten wirft. Was sollen wir uns zerren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter, Rosenkränze oder Weinlaub vor die Scham binden oder das häßliche Ding offen tragen und es uns von den Hunden lecken lassen?
Philippeau : Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu stehen, um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu sehen und die Augen von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es gibt ein Ohr, für welches das Ineinanderschreien und der Zeter, die uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind.
Danton : Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente. Sind denn die häßlichen Töne, welche auf ihnen herausgepfuscht werden, nur da, um höher und höher dringend und endlich leise verhallend wie ein wollüstiger Hauch in himmlischen Ohren zu sterben?
Hérault : Sind wir wie Ferkel, die man für fürstliche Tafeln mit Ruten totpeitscht, damit ihr Fleisch schmackhafter werde?
Danton : Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochsarmen dieser Welt gebraten und mit Lichtstrahlen gekitzelt werden, damit die Götter sich über ihr Lachen freuen?
Camille : Ist denn der Äther mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen, die am Tisch der seligen Götter steht, und die seligen Götter lachen ewig, und die Fische sterben ewig, und die Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes?
Danton : Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.
(Der Schließer tritt ein.)
Schließer : Meine Herren, Sie können abfahren, die Wagen halten vor der Tür.
Philippeau : Gute Nacht, meine Freunde! Legen wir ruhig die große Decke über uns, worunter alle Herzen ausschlagen und alle Augen zufallen. (Sie umarmen einander.)
Hérault : (nimmt Camilles Arm). Freue dich, Camille, wir bekommen eine schöne Nacht. Die Wolken hängen am stillen Abendhimmel wie ein ausglühender Olymp mit verbleichenden, versinkenden Göttergestalten. (Sie gehen ab.)
Sechste Szene
Ein Zimmer
Julie : Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist alles still. Keinen Augenblick möchte ich ihn warten lassen. (Sie zieht eine Phiole hervor.) Komm, liebster Priester, dessen Amen uns zu Bette gehn macht. (Sie tritt ans Fenster.) Es ist so hübsch, Abschied zu nehmen; ich habe die Türe nur noch hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.)
Man möchte immer so stehn. Die Sonne ist hinunter; der Erde Züge waren so scharf in ihrem Licht, doch jetzt ist ihr Gesicht so still und ernst wie einer Sterbenden. Wie schön das Abendlicht ihr um Stirn und Wangen spielt. Stets bleicher und bleicher wird sie, wie eine Leiche treibt sie abwärts in der Flut des Äthers. Will denn kein Arm sie bei den goldnen Locken fassen und aus dem Strom sie ziehen und sie begraben?
Ich gehe leise. Ich küsse sie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer sie aus dem Schlummer wecke. Schlafe, schlafe! (Sie stirbt.)
Siebente Szene
Der Revolutionsplatz
Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine. Männer und Weiber singen und tanzen die Carmagnole. Die Gefangenen stimmen die Marseillaise an.
Ein Weib (mit Kindern): Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie zusehen machen, daß sie still sind. Platz!
Ein Weib : He, Danton, du
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