Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
man nit herum, immer in die Mitt’ ’nein.
Zweiter Fuhrmann : Ja, das glaub ich: du kannst mit Karren und Gäulen hinein, du findst gute Gleise; aber du mußt Quarantäne halten, wenn du herauskommst. (Sie fahren vor.)
Zweiter Fuhrmann : (zu den Weibern). Was gafft ihr?
Ein Weib : Wir warten auf alte Kunden.
Zweiter Fuhrmann : Meint ihr, mein Karren wär’ ein Bordell? Er ist ein anständiger Karren, er hat den König und alle vornehmen Herren aus Paris zur Tafel gefahren.
Lucile (tritt auf. Sie setzt sich auf einen Stein unter die Fenster der Gefangnen): Camille, Camille! (Camille erscheint am Fenster.) Höre, Camille, du machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor dem Gesicht; kannst du dich nicht bücken? Wo sind deine Arme? Ich will dich locken, lieber Vogel.
(Singt): Es stehn zwei Sternlein an dem Himmel,
Scheinen heller als der Mond,
Der ein’ scheint vor Feinsliebchens Fenster,
Der andre vor die Kammertür.
Komm, komm, mein Freund! Leise die Truppe herauf, sie schlafen alle. Der Mond hilft mir schon lange warten. Aber du kannst ja nicht zum Tor herein, das ist eine unleidliche Tracht. Das ist zu arg für den Spaß, mach ein Ende! Du rührst dich auch gar nicht, warum sprichst du nicht? Du machst mir Angst.
Höre! die Leute sagen, du müßtest sterben, und machen dazu so ernsthafte Gesichter. Sterben! ich muß lachen über die Gesichter. Sterben! Was ist das für ein Wort? Sag mir’s, Camille. Sterben! Ich will nachdenken. Da, da ist’s. Ich will ihm nachlaufen; komm, süßer Freund, hilf mir fangen, komm! komm! (Sie läuft weg.)
Camille (ruft): Lucile! Lucile!
Fünfte Szene
Die Conciergerie
Danton an einem Fenster, was ins nächste Zimmer geht. Camille. Philippeau. Lacroix. Hérault.
Danton : Du bist jetzt ruhig, Fabre.
Eine Stimme (von innen): Am Sterben.
Danton : Weißt du auch, was wir jetzt machen werden?
Die Stimme : Nun?
Danton : Was du dein ganzes Leben hindurch gemacht hast des vers.
Camille (für sich): Der Wahnsinn saß hinter ihren Augen. Es sind schon mehr Leute wahnsinnig geworden, das ist der Lauf der Welt. Was können wir dazu? Wir waschen unsere Hände. Es ist auch besser so.
Danton : Ich lasse alles in einer schrecklichen Verwirrung. Keiner versteht das Regieren. Es könnte vielleicht noch gehn, wenn ich Robespierre meine Huren und Couthon meine Waden hinterließe.
Lacroix : Wir hätten die Freiheit zur Hure gemacht!
Danton : Was wäre es auch! Die Freiheit und eine Hure sind die kosmopolitischsten Dinge unter der Sonne. Sie wird sich jetzt anständig im Ehebett des Advokaten von Arras prostituieren. Aber ich denke, sie wird die Klytämnestra gegen ihn spielen; ich lasse ihm keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir.
Camille (für sich): Der Himmel verhelf ihr zu einer behaglichen fixen Idee. Die allgemeinen fixen Ideen, welche man die gesunde Vernunft tauft, sind unerträglich langweilig. Der glücklichste Mensch war der, welcher sich einbilden konnte, daß er Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sei.
Lacroix : Die Esel werden schreien »Es lebe die Republik«, wenn wir vorbeigehen.
Danton : Was liegt daran? Die Sündflut der Revolution mag unsere Leichen absetzen, wo sie will; mit unsern fossilen Knochen wird man noch immer allen Königen die Schädel einschlagen können.
Hérault : Ja, wenn sich gerade ein Simson für unsere Kinnbacken findet.
Danton : Sie sind Kainsbrüder.
Lacroix : Nichts beweist mehr, daß Robespierre ein Nero ist, als der Umstand, daß er gegen Camille nie freundlicher war als zwei Tage vor dessen Verhaftung. Ist es nicht so, Camille?
Camille : Meinetwegen, was geht das mich an? (Für sich): Was sie an dem Wahnsinn ein reizendes Kind geboren hat! Warum muß ich jetzt fort? Wir hätten zusammen mit ihm gelacht, es gewiegt und geküßt.
Danton : Wenn einmal die Geschichte ihre Grüfte öffnet, kann der Despotismus noch immer an dem Duft unsrer Leichen ersticken.
Hérault : Wir stanken bei Lebzeiten schon hinlänglich. Das sind Phrasen für die Nachwelt, nicht wahr, Danton; uns gehn sie eigentlich nichts an.
Camille : Er zieht ein Gesicht, als solle es versteinern und von der Nachwelt als Antike ausgegraben werden. Das verlohnt sich auch der Mühe, Mäulchen zu machen und Rot aufzulegen und mit einem guten Akzent zu sprechen; wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann, wie in einem Zimmer mit Spiegeln, überall nur den einen uralten, zahnlosen, unverwüstlichen Schafskopf, nichts mehr,
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