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George, Elizabeth

George, Elizabeth

Titel: George, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wer dem Tod geweiht
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völlig
falsch eingeschätzt. Gina war genauso Opfer, wie Jemima es gewesen war. Beide
hatten denselben Fehler begangen: Aus irgendeinem Grund, den Meredith nie
würde verstehen können, hatten sich beide Frauen in Gordon Jossie verliebt,
und Gordon Jossie hatte sie beide getäuscht.
    Sie konnte nicht
nachvollziehen, wie zwei intelligente Frauen nicht hatten sehen können, was es
mit Gordon auf sich hatte, aber andererseits musste sie sich auch eingestehen,
dass andere Frauen ihr Misstrauen gegenüber Männern meist nicht teilten. Im
Übrigen lernten Menschen im Allgemeinen nur aus ihren eigenen Begegnungen mit
dem anderen Geschlecht. Sie lernten nicht dadurch, dass sie sich Geschichten
darüber anhörten, wie andere Beziehungen schiefgegangen waren.
    Das war bei Jemima so gewesen,
und zweifellos galt das auch für Gina. Jetzt lernte Gina aus ihrer eigenen
Erfahrung mit Jossie, auch wenn es immer noch so aussah, als könnte sie es
nicht glauben.
    »Ich kann mir einfach nicht
vorstellen, dass er ihr etwas angetan hat«, sagte Gina leise, als sie endlich
allein in Merediths Zimmer waren. Und dann, noch ehe Meredith eine säuerliche
Bemerkung über Gordon Jossie machen konnte, fügte sie hinzu:
    »Jedenfalls, vielen Dank. Du bist eine echte Freundin.
Und deine Mutter ist entzückend. Cammie auch. Und auch dein Vater. Du kannst
dich wirklich glücklich schätzen.«
    Meredith dachte darüber nach.
»Lange Zeit«, erwiderte sie, »sah es gar nicht danach aus.« Sie erzählte Gina
von Cammies Vater. Sie gab die ganze verkorkste Geschichte zum Besten und
schloss mit den Worten: »Als ich nicht abtreiben wollte, war's das. Er meinte,
ich müsste vor Gericht beweisen, dass er der Vater sei, aber an dem Punkt war
es mir auch schon egal.«
    »Unterstützt er dich denn gar
nicht? Zahlt er keinen Unterhalt für Cammie?«
    »Wenn ein Scheck von ihm käme,
würde ich ihn glatt verbrennen. Meiner Meinung nach ist er derjenige, der arm
dran ist. Ich habe Cammie, und er wird sie nie kennenlernen.«
    »Was denkt sie denn über ihren
Vater?«
    »Sie weiß, dass manche Kinder
einen Vater haben und andere nicht. Wir haben uns überlegt - Mum und Dad und
ich -, wenn wir kein Drama daraus machen, dann ist es auch für sie keines.«
    »Aber sie fragt doch bestimmt
mal?«
    »Manchmal. Aber im Grunde
interessiert sie sich viel mehr für die Otter im Zoo, und so ist das Thema
meist schnell erledigt. Wenn die Zeit reif ist, werde ich ihr irgendeine
Version der Geschichte erzählen, aber da muss sie schon ein bisschen älter
sein.« Meredith zuckte die Achseln, und Gina drückte ihre Hand. Sie saßen auf
der Bettkante im schwachen Licht einer einzelnen Nachttischlampe. Abgesehen von
ihrem Flüstern war es still im Haus.
    »Wahrscheinlich hast du die
richtige Entscheidung getroffen«, sagte Gina, »aber es war bestimmt nicht
leicht für dich, oder?«
    Meredith schüttelte den Kopf.
Sie war dankbar für das Verständnis. Sie wusste, dass es nach außen hin so
aussah, als wäre es leicht für sie gewesen, und sie hatte nie jemandem
gegenüber etwas anderes geäußert. Sie lebte schließlich bei ihren Eltern, und
sie liebte Cammie. Merediths Mutter kümmerte sich um die Kleine, wenn Meredith bei
der Arbeit war. Was hätte einfacher sein können? Vieles natürlich, und ganz
oben auf der Liste stand, Single zu sein, unabhängig zu sein und ihren Traumberuf
auszuüben, den zu erlernen sie ursprünglich nach London gegangen war. Das alles
war vorbei, wenn auch nicht vergessen.
    Meredith blinzelte, als ihr
plötzlich klar wurde, wie lange es her war, dass sie eine Freundin in ihrem
Alter gehabt hatte. »Danke«, sagte sie zu Gina, und dann dachte sie, was wirkliche
Freundschaft tatsächlich bedeutete: gegenseitiges Vertrauen, keine Geheimnisse.
Aber sie hatte ein Geheimnis, das ihr auf den Nägeln brannte.
    »Gina«, sagte sie und holte
tief Luft. »Ich habe etwas von dir.«
    Gina sah sie überrascht an.
»Von mir? Was denn?«
    Meredith nahm ihre Umhängetasche
von der Kommode. Sie schüttete den Inhalt neben Gina aus und durchwühlte ihn,
bis sie gefunden hatte,
wonach sie suchte: das winzige Päckchen, das sie unter dem Waschbecken in Ginas
Pensionszimmer entdeckt hatte. Sie hielt es Gina hin.
    »Ich bin in dein Zimmer
eingedrungen.« Sie spürte, wie sie rot anlief. »Ich habe nach etwas gesucht,
das...« Meredith musste erst einmal nachdenken. Wonach hatte sie eigentlich gesucht?
Sie hatte es dort nicht gewusst, und jetzt wusste sie es ebenso wenig.

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