George, Elizabeth
müssten sie sich vor einem Schwurgericht
verantworten.
Ebenfalls erwähnenswert ist
der Umstand, dass Kindern, die ein schweres Verbrechen begangen haben, vor
Prozessbeginn von Rechts wegen jede therapeutische Hilfe durch Psychiater oder
Psychologen verweigert wird. Auch wenn Vertreter dieser Berufsgruppen bei Verfahren
gegen Kinder am Rande hinzugezogen werden, ist ihre Begutachtung der
Beschuldigten strikt darauf begrenzt, zwei simple Fragen zu beantworten: ob das
betreffende Kind zum Zeitpunkt des Verbrechens zwischen Recht und Unrecht
unterscheiden konnte und ob es für seine Taten verantwortlich war.
Sechs Kinderpsychiater und
drei Psychologen untersuchten die Jungen. Interessanterweise kamen alle zu
identischen Schlüssen: Michael Spargo, lan Barker und Reggie Arnold waren
durchschnittlich bis überdurchschnittlich intelligent. Der Unterschied zwischen
Recht und Unrecht war ihnen klar. Sie waren sich der Frage persönlicher Verantwortung
bewusst trotz (oder vielleicht wegen) ihrer Versuche, sich gegenseitig die
Schuld an John Dressers Misshandlung und Tod zuzuschieben. Welche anderen
Schlussfolgerungen hätten in dem allgemeinen Klima, das während der
Ermittlungen im Fall von John Dressers Entführung und Ermordung herrschte,
gezogen werden können? Wie gesagt: »Blut fordert Blut.« Und doch hätte die
schiere Ungeheuerlichkeit dessen, was John Dresser angetan worden war,
eigentlich ein unvoreingenommenes Vorgehen aller an den Ermittlungen, den
Verhaftungen und dem Prozess beteiligten Parteien verlangt. Ohne ein solches
Vorgehen in derartigen Fällen sind wir dazu verdammt, an unserer Ignoranz und
an der Vorstellung festzuhalten, dass von Kindern an Kindern verübte
Misshandlungen und Mord irgendwie etwas Normales sind, auch wenn kein
vernünftig denkender Mensch dies je akzeptieren würde.
Wir müssen das Verbrechen ja
nicht verzeihen, und wir müssen es auch nicht entschuldigen. Aber wir müssen
die Gründe dafür verstehen, um verhindern zu können, dass so etwas wieder
geschieht. Welche auch immer die wahren Ursachen für das abscheuliche Verhalten
der drei Jungen gewesen sein mögen, sie wurden bei ihrem Prozess nicht
vorgebracht, weil sie nicht vorgebracht zu werden brauchten. Die Aufgabe der
Polizei bestand nicht darin, die psychische Disposition der Jungen zu
erforschen, nachdem sie erst einmal festgenommen worden waren. Vielmehr bestand
ihre Aufgabe darin, die Festnahme durchzuführen, die Beweismittel
sicherzustellen, die Zeugenaussagen aufzunehmen und der Staatsanwaltschaft das
Geständnis der Jungen zu präsentieren. Die Polizei sah die Aufgabe der
Strafverfolgungsbehörden darin, eine Verurteilung zu erreichen. Und weil
jedwede Art therapeutischer Betreuung der Jungen durch Psychologen oder
Psychiater vor dem Prozess von Gesetzes wegen verboten war, war die
Verteidigung der Jungen auf die Versuche der Anwälte angewiesen, die Schuld
eines Jungen einem der anderen zu unterstellen sowie Zeugenaussagen und Beweise
der Staatsanwaltschaft zu widerlegen.
Am Ende spielte natürlich nichts
davon irgendeine Rolle. Aufgrund der erdrückenden Beweislast gegen die drei
Jungen war der Ausgang ihres Prozesses unausweichlich.
Wer als Kind misshandelt
wurde, trägt die Tendenz zu Misshandlungen immer in sich. Dies ist die
undenkbare Mitgift, die weitervererbt wird. Zahllose Studien bestätigen diese
Schlussfolgerung, und doch war diese wichtige Erkenntnis nicht Bestandteil des
Prozesses gegen Reggie Arnold, Michael Spargo und lan Barker. Sie konnte nicht
berücksichtigt werden, und zwar nicht nur wegen der bestehenden Strafgesetze,
sondern auch wegen des Verlangens (man könnte auch von »Blutdurst« sprechen)
der Öffentlichkeit nach Gerechtigkeit. Irgendjemand musste für das bezahlen,
was dem kleinen John Dresser angetan worden war. Der Prozess hatte ohne jeden
Zweifel die Schuld der Jungen bewiesen. Jetzt war es Sache des Gerichts, das
Strafmaß festzusetzen.
Im Gegensatz zu in
sozialpolitischer Hinsicht fortschrittlicheren Ländern, in denen einer
Straftat beschuldigte Kinder in der Obhut ihrer Eltern verbleiben, zu
Pflegefamilien gegeben oder in einem Heim untergebracht werden, sperrt man
straffällig gewordene Kinder in Großbritannien bis zu ihrem Prozess in
sogenannte Secure Units (Teil des Gefängnissystems). Während ihres Prozesses
wurden die drei Jungen jeden Tag aus unterschiedlichen Secure Units vorgeführt
und wieder dorthin zurückgebracht - in drei gepanzerten Fahrzeugen, die
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