George, Elizabeth
ein
bisschen wie ein kopfloses Huhn vor, als sie den Chief Superintendent mit Gina
Dickens reden sah. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun oder denken oder wohin
sie fahren sollte. Sie schlich zurück zu ihrem Wagen und fuhr in Richtung
Lyndhurst, denn dort befand sich die Polizeiwache, und auf die Polizei sollte
man sich doch verlassen können. Nur, was hatte sie davon, dorthin zu fahren,
dachte sie, wenn der Chef der Polizei von Lyndhurst auf Gordons Koppel stand
und offensichtlich dick mit Gina Dickens befreundet war?
Meredith
fuhr an den Straßenrand und ging noch einmal alles durch, was sie von Gina
Dickens gehört hatte, was ihre eigenen Nachforschungen ergeben hatten und was
sie von Michele Daugherty erfahren hatte. Sie versuchte, sich an jedes Wort zu
erinnern, das man ihr gesagt hatte, und sich daraus ein Bild davon
zusammenzusetzen, wer Gina Dickens wirklich war. Sie gelangte zu der
Überzeugung, dass es irgendwo irgendetwas über Gina geben musste, ein
Stückchen Wahrheit, von dem Gina selbst nicht wusste, dass sie es enthüllt
hatte. Das musste Meredith finden. Und wenn sie es gefunden hatte, würde sie
ganz genau wissen, was zu tun war.
Das Problem
daran war natürlich das Wo. Wo sollte sie nach diesem Stückchen Wahrheit
suchen? Wenn Gina Dickens eigentlich nicht existierte, was konnte sie -
Meredith Powell - dann tun, um herauszufinden, wer sie war und warum sie mit
Chief Superintendent Whiting unter einer Decke steckte bei... tja, bei welcher
Sache eigentlich? Was genau war der Grund für die Partnerschaft der beiden?
Meredith
vermutete, dass Gina alle Informationen darüber, was sie in Hampshire vorhatte
oder wie ihr richtiger Name lautete, irgendwo aufbewahrte, wo sie stets in
Reichweite waren. In ihrer Handtasche zum Beispiel oder vielleicht in ihrem
Auto.
Andererseits
ergab das auch wieder keinen Sinn, dachte Meredith. Das konnte Gina Dickens
nicht riskieren. Denn wenn sie das Zeug mit sich herumschleppte, konnte Gordon
Jossie viel zu leicht per Zufall darüber stolpern. Sie brauchte also einen viel
sichereren Ort, um die Unterlagen aufzubewahren, die verrieten, wer sie
wirklich war und was sie im Schilde führte.
Dann fiel
es Meredith wie Schuppen von den Augen. Sie umklammerte das Lenkrad. Es gab
einen Ort, wo Gina ungehindert diejenige sein konnte, die sie war: innerhalb
der vier Wände ihres Pensionszimmers. Meredith hatte das Zimmer zwar durchsucht,
aber sie hatte nicht überall gründlich nachgesehen. Zum Beispiel nicht zwischen
Matratze und Sprungfederrahmen. Sie hatte die Kommodenschubladen nicht
herausgezogen, um fest zustellen, ob irgendetwas darunter klebte. Und die
Bilder hatte sie auch nicht von der Wand genommen.
In diesem verdammten Zimmer musste
die Antwort liegen, dachte Meredith, denn warum sonst hätte Gina es behalten
sollen, wo sie doch bei Gordon wohnte? Warum sollte sie sich in solche
Unkosten stürzen, wenn es keinen Grund dafür gab? Also befanden sich die
Antworten auf alle Rätsel über Gina Dickens in Lyndhurst, wo sie die ganze Zeit
gewesen waren. Denn in Lyndhurst lag nicht nur Ginas Zimmer, sondern auch
Whitings Polizeirevier. Und das passte ja wirklich verdammt gut zusammen.
Meredith hatte sich das zwar
alles sehr scharfsinnig zusammengereimt, doch allmählich hatte sie das Gefühl,
dass sie in gefährliches Fahrwasser geriet. Mord, ein korrupter Polizist, falsche
Identitäten... Das war nicht ihre Kragenweite. Dennoch würde sie all dem auf
den Grund gehen müssen, da offenbar niemand anderes ein Interesse daran hatte.
Obwohl... Natürlich!, dachte
Meredith. Sie holte ihr Handy hervor und wählte Rob Hastings' Nummer.
Er war - welch glücklicher
Zufall - tatsächlich gerade in Lyndhurst. Er war - ein nicht minder glücklicher
Zufall - unterwegs zu einer Sitzung mit anderen Wildhütern, die vermutlich
anderthalb, vielleicht auch zwei Stunden dauern würde.
Hastig erzählte sie Rob, was
sie auf dem Herzen hatte: »Rob, es sind Gina Dickens und dieser Chief Superintendent.
Die beiden gemeinsam. Und es gibt übrigens überhaupt keine Gina Dickens. Und
Chief Superintendent Whiting hat Michele Daugherty gesagt, sie soll aufhören
mit ihren Nachforschungen über Gordon Jossie, dabei hatte sie noch gar nicht
richtig damit angefangen, und...«
»Moment mal. Wovon redest
du?«, fiel Rob ihr ins Wort. »Merry, was zum Teufel... Wer ist Michele
Daugherty?«
»Ich gehe jetzt in ihr Zimmer
in Lyndhurst.«
»In Michele Daughertys
Zimmer?«
»Nein, in Ginas. Sie hat
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