Georgette Heyer
hast mir eine wunderschöne Szene
gemacht, und es ist Zeit, daß ich hinaufgehe und schaue, wie es meiner Tante
geht.»
«Ich werde London morgen früh mit
der ersten Postkutsche verlassen!» verkündete er, und mit diesem Ausspruch zum
Abschied stelzte er aus dem Zimmer.
Kaum war sein Schritt auf der Treppe
verklungen, als sich die Tür öffnete, um diesmal Mrs. Hendred einzulassen, die
sehr erschreckt dreinschaute und sofort ausrief: «Mein Liebes, was ist denn
geschehen, das Mr. Yardley in einer derartigen Erregung verjagt hat? Ich bin
gerade die Treppe heruntergekommen, als er mit einem Gesicht aus diesem Zimmer
stürzte, daß ich ganz erschrocken war! Ich habe ihn, wie du dir denken kannst,
angesprochen und gefragt, ob irgend etwas nicht stimme, aber er wollte gar
nicht erst stehenbleiben – sagte nur, du würdest es mir erzählen, und fort war
er, bevor ich noch Atem holen konnte! Oh, Venetia, erzähl mir nur ja nicht, daß
ihr gestritten habt!»
«Nun, ich erzähle es Ihnen nicht,
wenn es Ihnen lieber ist, liebe Tante, aber es stimmt trotzdem!» antwortete
Venetia lachend. «O Himmel, wie gräßlich lächerlich er sich doch gemacht hat!
Ich könnte ihm deshalb fast verzeihen. Ich fürchte, Sie werden genauso
entsetzt sein, wie er es war, Ma'am: ich habe Mama einen Besuch abgestattet,
und Edward hat mich auf dem Heimweg in der New Bond Street getroffen, am Arm
Sir Lamberts!»
Sie mußte diese Beichte wiederholen,
bevor Mrs. Hendred sie überhaupt fassen konnte, und dann die arme Dame zu ihrem
Lieblingsstuhl führen. Diese zweite Katastrophe, die dem Schock des Vorabends
folgte, erwies sich als zuviel für Mrs. Hendreds zerrüttete Nerven: sie brach
in Tränen aus, und in ihrem kläglichen Schluchzen erleichterte sie sich
zwischendurch mit einem unzusammenhängenden Monolog, der zugleich eine
Jeremiade und eine Strafpredigt war. Venetia machte keinen Versuch, sich gegen
die diversen Anklagen zu verteidigen, die auf sie abgefeuert wurden, sondern
widmete sich der Aufgabe, ihre bekümmerte Verwandte mit liebevoller Behandlung
halbwegs zu beruhigen. Erschöpft vor Aufregung lehnte sich Mrs. Hendred
schließlich mit geschlossenen Augen in ihren Stuhl zurück und wies ihre
undankbare Nichte nur leise stöhnend und schwach zurück. Venetia schaute sie
zweifelnd an, entschied sich, keinerlei weitere Ankündigungen zu machen, und
ging hinaus, um Miss Bradpole zu rufen. Sie vertraute Mrs. Hendred deren
sachverständige Fürsorge an, verlief? das Haus wieder und ging zum Droschkenstand.
«Zur Lombard Street, bitte!» sagte sie zum Kutscher. «Hauptpostamt.»
Der Nachmittag war schon
beträchtlich vorgeschritten, als sie wieder zum Cavendish Square zurückkehrte.
Sie erfuhr von Miss Bradpole, daß sich Mrs. Hendred ins Bett zurückgezogen, aber
alle Angebote, den Arzt zu rufen, abgelehnt hatte. Man hatte sie überredet, in
einem leichten Mittagessen herumzustochern – gerade nur eine Tasse Brühe, ein
Stückchen Huhn und etwas Fruchtlikörcreme –, und sie schien sich nun um eine
Spur wohler zu fühlen und dem Schlaf geneigt zu sein. Venetia, die eine
entsprechende Besorgnis an den Tag legte, gönnte Miss Bradpole eine
zungenfertige Erklärung des Kollaps ihrer Tante und ging in ihr eigenes Zimmer.
Erst viel später wagte sie sanft an
Mrs. Hendreds Tür zu klopfen. Eine versagende Stimme hieß sie eintreten. Sie
fand ihre Tante gegen einen Berg Kissen gelehnt, mit einem sehr hübschen,
unter dem Kinn gebundenen Nachthäubchen vor, das Taschentuch in der einen Hand,
das Riechfläschchen in der anderen, und auf einem Tisch neben dem Bett eine
Batterie von Beruhigungs- und Stärkungsmitteln. Als sie Venetias Stimme hörte,
richtete sie vorwurfsvolle Augen auf die Tür und gab einen herzzerreißenden
Seufzer von sich. Dann erkannte sie, daß Venetia unter einem warmen Umhang ein
Reisekleid trug. Ihr Verhalten änderte sich abrupt. Sie setzte sich mit einem
Ruck auf und verlangte in Tönen, die weit entfernt von denen einer Sterbenden
waren, zu wissen: «Warum bist du so angezogen? Wohin gehst du?»
Venetia trat an das Bett, beugte
sich über die Tante und küßte liebevoll ihre Wange: «Liebste Tante, ich fahre
heim!»
«Nein, nein!» rief Mrs. Hendred und
packte ihren Ärmel. «O Himmel, ich werde noch vollkommen verrückt! So habe ich
es doch nicht gemeint! Der Himmel weiß, was da zu tun ist, aber deinem Onkel
wird bestimmt etwas einfallen, verlaß dich darauf! Venetia, wenn ich etwas
gesagt habe ...»
«Aber
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