Georgette Heyer
Statt unverzüglich eine zweispännige Kutsche zu mieten, die sie zur
Priory bringen sollte, wie es ihre Absicht gewesen war, bestellte sie ein
Schlafzimmer, etwas heißes Wasser und Tee. So eifrig sie darauf bedacht war,
das Ziel ihrer Reise zu erreichen, wünschte sie denn doch nicht, in der Priory
in einem verdrückten Kleid, mit ungewaschenem Gesicht und ungebürstetem Haar
anzukommen. Als das Stubenmädchen sie im Gasthof in ein leeres Zimmer führte,
genügte ein Blick in den Spiegel, sie in dem Glauben zu bestärken, daß keine
Dame, wie hübsch auch immer sie war, über zweihundert Meilen in einer
Postkutsche reisen konnte, die mit sechs Passagieren voll besetzt war, ohne an
ihrem Bestimmungsort in einer sehr unhübschen mitgenommenen Verfassung
anzukommen.
Sie hatte das Glück gehabt, in so
kurzer Frist doch noch einen Sitz buchen zu können; es war natürlich kein
Eckplatz, und sie war bald daraufgekommen, daß zwischen einer privaten Reisekutsche
und einer Postkutsche ein weltweiter Unterschied lag. Zum Unterschied von
zweien ihrer Mitpassagiere, die die ganze Nacht hindurch abscheulich
schnarchten, war sie nicht imstande gewesen, zu schlafen. Und als den Reisenden
zur Frühstückszeit eine Pause von zwanzig Minuten gegönnt wurde, konnte sie
gerade nur zwei Schluck lauwarmen Kaffees zu sich nehmen, bevor sie auch schon
wieder aufgefordert wurde, ihren Platz in der Postkutsche einzunehmen, denn
sie hatte fünfzehn Minuten warten müssen, bis der gehetzte Kellner die
Kaffeekanne auf den Tisch vor sie hinschmetterte.
Waschen und eine Tasse Tee belebten
sie ein wenig, und sie meinte, wenn sie sich eine halbe Stunde
auf das große Himmelbett hinlegte, würde vielleicht ihr Kopfweh vergehen. Das
war ihr Pech. Denn kaum hatte sie die Bettdecke über sich gezogen, als sie auch
schon einschlief.
Sie erwachte im Finstern, und als
sie die Münsterglocke die Dreiviertelstunde schlagen hörte, sprang sie
entsetzt auf und tastete nach der Klingelschnur neben ihrem Bett. Als das
Stubenmädchen mit einer Kerze erschien, erfuhr sie zu ihrer Erleichterung, daß
die Zeit doch noch nicht so weit vorgeschritten war, wie sie gefürchtet hatte.
Es war dreiviertel vor sieben Uhr abends. Das Stubenmädchen, eine freundliche
Seele, sagte, es hätte um vier Uhr zu ihr hereingeschaut, aber gedacht, es wäre
einfach eine Schande, sie aufzuwecken. Es meinte, Miss müßte Appetit auf das
Abendessen haben, das gerade im Eßzimmer serviert wurde. Aber obwohl Venetia
geradezu heißhungrig war, bat sie das Mädchen nur, während sie in das reine
Kleid schlüpfte, das sie schon früher aus ihrem Portemanteau ausgepackt hatte,
zum Wirt hinunterzulaufen und bei ihm eine zweispännige Kutsche zu bestellen,
oder irgendein anderes verfügbares Fahrzeug, das sie unverzüglich zur Elliston
Priory bringen könne.
Venetia hatte beabsichtigt, nach der
halben Stunde Erholung auf dem verräterischen Bett in Mr. Mytchetts Kanzlei
vorzusprechen, denn nachdem sie ihre Karte für die Postkutsche gekauft, das
Frühstück bezahlt – das sie keine Zeit zu essen gehabt – und dem Wächter ein
Trinkgeld gespendet hatte, waren ihre Mittel derart zusammengeschrumpft, daß
sie gerade noch die Rechnung im Gasthof bezahlen konnte. Das tat sie und
kletterte gleich darauf in die Mietkutsche, zwar bettelarm, aber hoffnungsfroh,
denn irgend jemand in der Priory – Aubrey oder Damerel oder Imber – würde die
Rechnung des Postjungen schon auslegen.
Aber Imber, der nach halb neun Uhr
dieser gänzlich unerwarteten Besucherin die Tür öffnete, machte größere
Stielaugen denn je bei ihrer leicht hingeworfenen Bitte, den Postjungen zu
bezahlen, und wiederholte derart verblüfft: «Den Postjungen bezahlen, Miss?!»,
daß Venetia, ungeduldig über jede weitere Verzögerung, sagte: «Oh, lassen Sie
nur! Seine Lordschaft wird Ihnen das Geld geben! Wo finde ich ihn? Ist er in
der Bibliothek?»
Imber, der sie immer noch offenen
Mundes anstarrte, schüttelte langsam den Kopf. Eine lähmende Angst preßte ihr
das Herz zusammen; sie stammelte: «W-weg? Imber, hat er Yorkshire ver-verlassen?
Stehe Er nicht da und halte Er keine Maulaffen feil! Hält Er mich für ein
Gespenst? Wo ist Seine Lordschaft?!»
Imber schluckte und antwortete: «Er
ist im Speisezimmer, Miss, aber – aber er riecht nach Hullkäse, Miss Venetia!
Sie hätten nicht sollen – aber, Miss ...!»
Da dieser Ausflug in den Dialekt
Venetia völlig unverständlich war, beachtete sie den Beiklang
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