Georgette Heyer
natürlich haben Sie nichts
gesagt, Ma'am!» sagte Venetia, lächelte sie an und tätschelte liebkosend ihre
Schulter. «Aber Sie können ja doch nicht hoffen, meinen Ruf wiederherzustellen,
und ich möchte so viel lieber, daß Sie es erst gar nicht versuchen. Sie waren
schon viel zu gütig zu mir, und ich bin ein elendes Ding, weil ich Ihnen soviel
Unbehagen verursachte. Aber, sehen Sie, es geht um mein ganzes Leben, um das
ich kämpfe, und ich bin gar nicht sicher, ob es selbst jetzt nicht schon zu
spät ist! Ich bitte Sie sehr, versuchen Sie, mir zu verzeihen, meine liebe
Tante, und – und mich ein bißchen zu verstehen!»
«Venezia, so bedenke doch bloß!»
flehte Mrs. Hendred. «Guter Gott, du kannst dich doch unmöglich diesem Mann an
den Hals werfen! Was würde er bloß von dir denken?»
«Das habe ich bedacht. Es erscheint
wirklich ganz schrecklich, nicht? Ich hoffe, mein Mut hält durch. Aber ja, ich
glaube, das wird er, weil es nichts gibt, was ich ihm nicht sagen könnte oder
er nicht verstehen würde. Seien Sie nicht verzweifelt. Ich wünschte, ich hätte
Sie nicht wieder aufregen müssen, aber ich konnte nicht wegfahren, ohne Ihnen Lebewohl zu sagen
und Ihnen zu danken, daß Sie so überaus gütig zu mir waren. Ich habe Bradpole
und Worting gesagt, daß mir Edward schlechte Nachrichten über Aubrey brachte
und mich mit der Post bis York begleiten wird, so müssen Sie sich nicht darüber
aufregen, was die Dienerschaft denken wird. Und ich habe meinen Koffer gepackt
und Betty gebeten, ihn zuzuschnüren und ihn mit der Paketpost zu schicken –
sobald ich schreibe, um Ihnen meine Anschrift mitzuteilen, denn ich kann ja
nicht mehr als eine Reisetasche in der Postkutsche mitnehmen, wie Sie wissen.»
«Hör zu, Venetia – warte doch bloß,
bis wir deinen Onkel um Rat fragen können!» sagte Mrs. Hendred fieberhaft. «Er
wird morgen zum Frühstück daheim sein – oder er kann vielleicht sogar schon
heute abend kommen! Schau, bitte, bitte ...»
«Nicht um alles in der Welt!» sagte
Venetia, und Gelächter zitterte in ihrer Stimme. «Ich bin meinem Onkel sehr
dankbar, aber der bloße Gedanke, daß ihm wieder etwas anderes einfallen könnte,
um mich vor meinem liebsten Wüstling zu retten, versetzt mich in Angst und
Schrecken!»
«Warte, liebes Kind! Ich habe einen
sehr guten Einfall. Wenn du entdeckst, daß sich deine Zuneigung nicht geändert
hat, bis du Zeit gehabt hast, mehr von der Welt zu sehen – nein, nein, so hör
doch nur! – will ich nicht ein Wort gegen diese gräßliche Heirat sagen! Aber
Lord Damerel würde dir ja selbst sagen, daß es noch viel zu früh ist, daß du
dich bindest! Dein Onkel soll sich etwas ausdenken, was alles gutmacht, das
heute geschehen ist, und ich werde Theresas Debüt auf den Frühling verlegen und
statt dessen dich in die Gesellschaft einführen!»
«Oh, die arme Theresa!» rief Venetia
aus und lachte laut auf. «Wo sie doch schon die Tage bis dahin zählt!»
«Sie kann gut noch ein Jahr warten»,
sagte Mrs. Hendred resolut. «Ja, ich neige sehr zu der Ansicht, daß sie es
sogar sollte, denn ich habe unlängst abends einen Fleck auf ihrem Gesicht
bemerkt, und weißt du, meine Liebe, wenn sie in diese ärgerliche Art verfällt,
die junge Mädchen an sich haben, immer dann Pusteln zu kriegen, wenn man
besonders wünscht, daß sie am besten aussehen, dann wäre es einfach nutzlos,
sie schon nächstes Jahr herauszubringen! Nun, was sagst du dazu?»
«Gräßlich!» antwortete Venetia und
rieb ihre Wange leicht an der ihrer Tante, bevor sie sich aus dem Griff an
ihrem Ärmel losmachte und zur Tür ging. «Lange bevor die Saison zu Ende ist –
wenn nicht sogar bevor sie anfängt –, wäre Damerel weiß der Himmel wo und
würde Rosenblätter für irgendein loses Frauenzim mer herumstreuen, damit sie
drauftreten kann! Nun, zu einem jedenfalls bin ich entschlossen! Wenn er schon
solchen verschwenderischen Gewohnheiten frönen muß, dann soll er seine
Rosenblätter für mich herumstreuen, und nicht für eine seiner lächerlichen
Kurtisanen!» Sie warf ihrer Tante eine Kußhand zu und war im nächsten
Augenblick fort.
20
Venetia erreichte York mitten am Nachmittag
des folgenden Tages, da die Postkutsche durch Nebel in und um London
beträchtlich aufgehalten worden war. Wenn Venetia diesmal auch viel besser
aufgelegt war als auf ihrer Hinreise, so war sie dafür bei weitem erschöpfter.
Sie stieg aus der Kutsche mit dem Gefühl, total zerschlagen und zerzaust zu
sein.
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