Georgette Heyer
oder Kopf getrennt zu
sein schienen und oft noch seltsamer getrennt von dem, was bestimmt ihr wahrer
Charakter war. Für die Männer war Keuschheit nicht die wichtigste Tugend – sie
erinnerte sich, wie verblüfft sie gewesen war, als sie entdeckt hatte, daß ein
so korrekter Gentleman und gütiger Gatte wie Sir John Denny seiner Lady nicht
immer treu war. Hatte es Lady Denny etwas ausgemacht? Ein bißchen, vielleicht,
aber sie hatte nicht zugelassen, daß es ihre Ehe zunichte machte. «Männer, mein
Liebes, sind anders als wir», hatte sie einmal gesagt, «selbst die besten von
ihnen! Ich sage dir das, weil ich es für sehr falsch halte, Mädchen in dem
Glauben aufzuziehen, daß das Gesicht, das die Männer den Frauen zeigen, die sie
achten, ihr einziges sei. Ich bin überzeugt, sähen wir sie dabei, wie sie
irgendeinem gräßlichen, vulgären Boxkampf zuschauen, oder in Gesellschaft von
Frauen einer bestimmten Sorte, dann würden wir nicht einmal unsere eigenen
Gatten und Brüder wiedererkennen. Ich bin überzeugt, wir würden sie für
widerlich halten! Was sie, in gewisser Hinsicht, auch wirklich sind, nur wäre
es ungerecht, sie für etwas zu tadeln, wofür sie nichts können. Man sollte eher
dankbar sein, daß eventuelle Affären, die sie vielleicht mit denen haben, die
der sogenannten Musselin-Gesellschaft angehören, ihre wahre Liebe nicht im
geringsten tangiert. Ja, ich stelle mir vor, daß Liebe bei solchen Abenteuern
gar keine Rolle spielt. Komisch! – Denn wir, weißt du, würden sie uns wohl kaum
leisten können, ohne daß sie auf unser Leben eine größere Wirkung hätten, als
wenn wir uns einen neuen Hut aussuchen. Aber so ist nun das einmal bei den
Männern! Deshalb heißt es ja wirklich höchst richtig, daß man, solange der
Gatte zu einem zärtlich ist, keinen Grund zur Klage hat und verrückt sein müßte, über etwas
verzweifelt zu sein, das für ihn bloß eine läßliche Sünde ist. < Versuch nie,
etwas herauszufinden, was dich nichts angeht, sondern schau lieber weg! > hat
mir meine liebe Mutter immer gesagt, und ich habe gefunden, daß das ein sehr
guter Rat war. Sie sprach natürlich von Herren mit Charakter und Erziehung, wie
ich es jetzt tue – denn mit den halben Beaus und den liederlichen Frauenzimmern
hat das, kann ich glücklicherweise sagen, nichts zu tun – die laufen uns ja
nicht in den Weg.»
Aber Damerel war ihnen in den Weg
gelaufen, und obwohl er kein halber Beau war, liederlich war er bestimmt. Lady
Denny war gezwungen gewesen, ihn mit zumindest dem Anschein von Höflichkeit zu
empfangen, aber sie würde eine allzu unerwünschte Bekanntschaft nicht
fortsetzen. Und sie würde zweifellos entsetzt sein, wenn sie entdeckte, daß ihr
junger Schützling nicht nur auf dem besten Fuß mit ihm stand, sondern auch die
grobe Unschicklichkeit beging, ihn in seinem Hause zu besuchen. Konnte man ihr
verständlich machen, daß sein Charakter genauso wie die der vielen namenlosen,
vom Weg abweichenden Gatten, zwei Seiten hatte? Venetia glaubte es nicht. Das
Beste, was man hoffen konnte, war, sie würde verstehen, daß Venetia ihren
Bruder Aubrey in der Priory besuchen fuhr, selbst wenn Damerel ein Kaliban sein
sollte.
Das Geklapper von Fensterläden, die
in dem Wohnzimmer unter ihr zurückgeschlagen wurden, weckte sie aus diesen
zweifelnden Überlegungen. Wenn sich die Dienerschaft rührte, dann war es doch
nicht mehr so früh – wahrscheinlich etwa um sechs Uhr herum. Als sie nach einer
Ausrede suchte, warum sie um eine Stunde vor ihrer üblichen Zeit aufstand,
erinnerte sie sich an die verschiedenen – nicht sehr dringenden – Pflichten,
die am Vortag unerledigt geblieben waren, und beschloß, sie unverzüglich zu
erledigen.
Sie gehörte nicht zu den ständig
atemlosen Hausfrauen, aber als sie ins Frühstückszimmer kam, hatte sie schon
die Meierei und die Ställe besucht, mit dem Gutsverwalter die Winteraussaat
besprochen, der Geflügelfrau in einer leicht entschärften Form einen Vorwurf
Mrs. Gurnards übermittelt, sich dafür eine Jeremiade über die allgemeine und
besondere Störrigkeit von Hennen angehört und einen alten, dickköpfigen Gärtner
angewiesen, die Dahlien aufzubinden. Es schien unwahrscheinlich, daß er es tun
würde, denn er betrachtete sie als Emporkömmlinge und Eindringlinge, von denen
man in seiner Jugend nie etwas gehört hatte, und wurde peinlich taub, wann
immer Venetia sie erwähnte.
Zu ihrer Erleichterung nahm es Mrs.
Gurnard für selbstverständlich,
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