Georgette Heyer
Entschlossenheit zu ihm zurück, die so charakteristisch für sie war.
Sie wirkte wohl ziemlich blaß, hatte sich aber bereits vollkommen in der Hand.
«Wenn Sie wissen, daß ich – England mit Lord Vidal verließ, Sir, bin ich Ihnen
mehr denn je für die Gastfreundschaft dankbar, die Sie mir heute abend erwiesen
haben, und ich schulde Ihnen zweifellos eine Erklärung», begann sie. «Ich weiß
nicht, wieviel Sie über mich erfahren haben, aber da niemand in England die
ganze Wahrheit kennt, fürchte ich, daß Sie über verschiedene Dinge nicht
richtig informiert sind.»
«Höchstwahrscheinlich»,
nickte ihr Gastgeber. «Darf ich vorschlagen, daß Sie mir von Anfang an
berichten, wie sich alles zugetragen hat? Ich bin jederzeit bereit, Ihnen aus
dieser etwas schwierigen Situation zu helfen, nur möchte ich genau wissen,
warum Sie England mit Lord Vidal verlassen haben, und warum ich Sie heute
anscheinend allein und ohne Freund hier finde.»
Sie lehnte
sich vor und blickte ihn gespannt an. «Sie wollen mir helfen, Sir? Wirklich?
Könnten Sie mich dann vielleicht in einer französischen Familie als
Gouvernante empfehlen, damit ich nicht nach England zurückkehren muß, sondern
mir hier selbst meinen Lebensunterhalt verdienen könnte?»
«Ist das
Ihr Ernst?» fragte er ungläubig.
«Ja, Sir,
mein voller Ernst.»
«Du meine
Güte!» bemerkte er. «Sie scheinen mir eine Frau von großem Einfallsreichtum zu
sein. Doch nun fangen Sie mit Ihrer Geschichte an.»
«Wenn ich
das tue, Sir, bin ich gezwungen, den – Leichtsinn – meiner Schwester
einzugestehen. Ich glaube, ich brauche Sie wohl nicht zu bitten, diesen Teil
meiner Erzählung – zu vergessen.»
«Ich
verfüge über ein sehr anpassungsfähiges Gedächtnis, Miss Challoner.»
«Danke,
Sir. Sie müssen nämlich wissen, meine Schwester ist sehr jung und, wie viele
Mädchen in ihrem Alter, auch noch sehr naiv, vor allem aber von bezaubernder
Schönheit. Vor nicht allzulanger Zeit kreuzte der Marquis von Vidal ihren Weg.»
«Natürlich»,
murmelte er.
«Wieso
natürlich, Sir?»
«Oh, ich
dachte nur», erklärte er mit einem feinen, ironischen Lächeln, «wenn sie
wirklich so – bezaubernd schön ist, mußte der Marquis sie zwangsläufig
kennenlernen. Aber bitte, fahren Sie fort!»
Sie neigte
den Kopf. «Gewiß, Sir, obwohl es mir schwerfällt, den Beginn meines Abenteuers
zu schildern, denn ich möchte Ihnen nur ungern zu
verstehen geben, daß der Marquis – einer Dame seine Aufmerksamkeit gegen ihren
Willen aufdrängte. Meine Schwester hat ihn zwar ermutigt, so daß er annehmen
mußte, daß sie, daß sie ...»
«Ich
begreife völlig, Miss Challoner.»
Sie warf
ihm einen dankbaren Blick zu. «Ja, Sir. Nun, kurz und gut, der Marquis brachte
meine Schwester schließlich so weit, in eine Flucht mit ihm einzuwilligen.
Durch einen Zufall entdeckte ich, daß sie sich eines Abends für elf Uhr
verabredet hatten. Vielleicht sollte ich hinzufügen, daß mir das entsprechende
Billet Seiner Lordschaft durch eine Verwechslung in die Hände fiel. Ich hatte
bestimmte Gründe, mit deren näherer Erläuterung ich Sie jedoch nicht belästigen
will, meine Mutter von diesem schrecklichen Vorhaben nicht in Kenntnis zu
setzen. Ich muß Ihnen wohl kaum versichern, Sir, daß die Pläne Seiner
Lordschaft keine Heirat beinhalteten. Deshalb glaubte ich, nicht nur die
tatsächliche Flucht verhindern zu müssen, sondern hielt es für unumgänglich,
gleich der ganzen Affäre ein Ende zu machen, die doch nur Sophias Ruin bedeuten
konnte. Wenn ich jetzt daran denke, muß ich mich ehrlich gestanden über meine
Einfalt wundern. Ich wollte nämlich an Sophias Stelle in die Kutsche steigen
und den Marquis später, wenn er den Schwindel entdeckte, glauben machen, es
handle sich um einen Scherz, den Sophia und ich gemeinsam ausgeheckt hatten,
weil ich mir einbildete, er würde sich darüber bestimmt furchtbar ärgern.» Sie
hielt inne und ergänzte trocken: «Genau das war dann auch der Fall.»
Der
Gentleman drehte spielerisch den Smaragdring an seinem Finger. «Soll das
heißen, Sie haben diesen bemerkenswerten Plan ausgeführt?» fragte er.
«O ja, Sir.
Aber es ging leider alles schief.»
«Das war zu
erwarten», meinte er freundlich.
«Ja»,
seufzte sie. «Es war ein dummer Plan. Lord Vidal bemerkte den Betrug erst am
nächsten Morgen, nach unserer Ankunft in Newhaven. Es war ein richtiger Schock
für mich, als ich das Meer sah. Ich war nicht auf die Idee gekommen, Seine
Lordschaft
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