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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskapaden
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noch in dieser Nacht zu verlassen, und in den wenigen
Stunden, die ihm blieben, galt es eine Menge Dinge zu regeln. Seine Diener
wurden eilig auf verschiedene Botengänge geschickt – einer nach Newhaven, um
dem Kapitän seiner Jacht, der Albatross, Bescheid zu sagen, daß Seine
Lordschaft am nächsten Morgen nach Frankreich in See stechen wollte, einer zu
seiner Bank und ein dritter mit einem hastig gekritzelten Billet zu einem
stillen Haus in Bloomsbury.
    Dort nahm
es eine schlampige Zofe, die sich zuerst die Hände an der Schürze abwischte, in
Empfang. Als der Bote gegangen war, blieb das Mädchen in der Diele stehen und
betrachtete neugierig den Brief mit dem schweren Siegel. Eine Krone – es sollte
sie nicht wundern, wenn er von dem hübschen Lord stammte, der hinter Miss Sophy
herrannte, nur lautete die Adresse schlicht und einfach «Miss Challoner».
    In diesem
Augenblick kam Mary, den Einkaufskorb auf dem Arm und einen Strohhut auf den
Locken, die Treppe herunter, denn trotz ihrer guten Erziehung war sie im
Gegensatz zu ihrer Schwester nicht zu stolz, die notwendigen Besorgungen zu
erledigen. Bald nach ihrer Rückkehr aus dem Institut hatte sie sozusagen das
Amt einer Haushälterin übernommen, und selbst Mrs. Challoner mußte zugeben, daß
Mary die Gabe besaß, länger mit dem Geld auszukommen, als ihnen das ohne sie
früher jemals gelungen war.
    «Was gibt
es, Betty?» fragte sie nun, während sie ihre Handschuhe überstreifte.
    «Ein Lakai
hat 'nen Brief gebracht, Miss. Für Sie», fügte sie hinzu. Es klang wie ein
Glückwunsch. Betty fand es ungerecht, daß Miss Sophy alle Verehrer für sich
haben sollte, wo doch Miss Mary viel netter war, aber anscheinend hatte keiner
der Herren den Grips, das zu begreifen.
    «Oh?» sagte
Mary überrascht. «Danke.» Sie las die Adresse und erkannte Vidals kühne
Handschrift. «Aber das ist ...» begann sie, besann sich dann aber eines Besseren.
Der Brief war ja immerhin an Miss Challoner adressiert. «Ach ja, ich erinnere
mich», meinte sie gelassen und steckte ihn in ihr Retikül.
    Sie trat
aus dem Haus und ging die Straße hinunter. Kein Zweifel, es war Vidals Schrift,
und der Brief war für ihre Schwester bestimmt, das stand ebenfalls fest. Die
flüchtig hingeworfene Adresse verriet, daß der Absender sich in Eile befunden
hatte; es sähe dem Marquis durchaus ähnlich, die Existenz einer älteren
Schwester einfach zu vergessen, dachte Mary mit einem schiefen Lächeln.
    Sie
besorgte ein wenig zerstreut ihre Einkäufe und ging dann mit langsamen
Schritten zum Haus zurück. Natürlich sollte sie das Billet Sophia geben, aber
selbst wenn sie wußte, wozu sie eigentlich verpflichtet war, gestand sie sich
doch gleichzeitig ein, daß sie es nicht tun würde, denn sie hatte von Anfang
an nichts anderes vorgehabt. Den ganzen Vormittag schon war ihr an Sophia eine
unterdrückte Erregung aufgefallen, eine wichtigtuerische Rätselhaftigkeit, und
zweimal hatte sie angedeutet, daß ihr etwas ganz Wunderbares bevorstand, aber
danach befragt, hatte sie nur lachend geantwortet, es sei ein Geheimnis. Mary
war besorgt wie nie zuvor. Dieser Brief – und man durfte wirklich annehmen,
daß er an sie, Mary Challoner, gerichtet war – konnte unter Umständen ein
wenig Licht in Sophias mysteriöses Benehmen bringen.
    Er brachte
nicht nur ein wenig Licht, sondern geradezu strahlende Helligkeit. Nachdem sie
sich in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen hatte, brach Mary das Siegel auf und
strich das dicke Blatt Papier glatt.
    «Liebste ...»
begann der Marquis – «heute abend ist es soweit. Meine Kutsche erwartet dich um
elf am Ende deiner Straße. Bring nichts mit, was du nicht unter deinem Mantel
verbergen kannst. Vidal.»
    Miss
Challonger legte entsetzt eine Hand an die Wange, eine Geste, die ihr seit
ihrer Kindheit eigen war. Sie starrte auf die kurze Nachricht, bis die Worte
ihr entgegenzuspringen schienen. Nichts als dieser knappe Befehl, um über
Sophias ganze Zukunft zu entscheiden! Gott, mußte er sich ihrer sicher sein!
Kein Wort der Liebe, obwohl er dieses süße Wort für die Anrede gebrauchte; kein
Schmeicheln, kein Überreden, keine Bitte, es sich doch ja nicht anders zu
überlegen. Wußte er denn, daß er mit ihrem Einverständnis rechnen durfte? War
es das, was sie gestern abend in der Oper vereinbart hatten?
    Miss
Challoner sprang auf und zerknüllte den Brief mit zitternden Fingern. Sie mußte
etwas unternehmen – und zwar schnell. Sie konnte die Nachricht

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