Georgette Heyer
höchstem Maße taktvollen Gentlemen hatten sie zwar
von Anfang an (und zu ihrer Überraschung) mit dem gebührenden Respekt
behandelt, aber als der Tag zur Neige ging, war ihre Hochachtung nicht mehr auf
die Angst vor Seiner Lordschaft zurückzuführen.
Dem Marquis
kam das erste Anzeichen einer in seinem Haushalt im Gange befindlichen
Veränderung um vier Uhr nachmittags zu Bewußtsein, als ihm Fletcher mit
undurchdringlichem Gesichtsausdruck eine Tasse dünner Haferschleimsuppe
servierte. Er hatte sie von Miss Challoner erhalten, und als er auf dem Weg
nach oben Mr. Timms auf der Treppe traf, mit großer Geistesgegenwart gesagt:
«Du kannst das Seiner Lordschaft bringen, Horace.»
Mr. Timms
verweigerte nach einem Blick auf das Tablett offen den Gehorsam. «Wenn ich Sie
wäre, Mr. Fletcher, würde ich das hier von einem dieser Franzmänner
hinauftragen lassen», empfahl er.
Der
Vorschlag beleidigte Mr. Fletchers Würde, und er sagte steif: «Und warum, mein
Guter, kannst du Seine Lordschaft nicht bedienen?»
«Weil ich
keine Sehnsucht danach habe, eine Portion Hafergrütze an den Kopf zu bekommen»,
antwortete Mr. Timms mit brutaler Offenheit.
Der Marquis
starrte in stummer Verwunderung auf den Inhalt der Tasse. Dann hob er den Blick
zu seinem Majordomus, der seinerseits ausdruckslos den Bettpfosten fixierte.
«Mein kleiner Hohlkopf», sagte der Marquis, «was ist das für ein widerlicher
Papp?»
«Hafergrütze,
Mylord», antwortete Fletcher mit steinerner Miene.
Der Marquis
ließ den Kopf wieder in die Kissen sinken, musterte aber weiterhin seinen
dienstbaren Geist. «Bist du wahnsinnig geworden?» fragte er sanft.
«Nein, Mylord.»
«Dann
erkläre mir, zum Teufel, was du dir dabei denkst, mir das da vor die Nase zu
stellen! Wo hast du das Zeug her? Und wage ja nicht zu behaupten, ein Franzose
hätte diese Abscheulichkeit verbrochen!»
«Die junge
Dame hat es zubereitet, Mylord.»
Einen
Augenblick herrschte lastendes Schweigen, dann befahl Seine Lordschaft mit
gefährlicher Ruhe: «Bring es wieder hinunter.»
«Die junge
Dame hat mir aufgetragen, Mylord, daß ich das unter keinen Umständen tun soll»,
sagte Fletcher entschuldigend.
Mylords
Finger verkrampften sich um die Henkel der Tasse. «Bringst du es nun hinunter
oder nicht, Fletcher?» fragte er honigsüß.
Fletcher
schielte wachsam auf die Hand seines Herrn und kapitulierte. «Gewiß, Mylord.»
Vidal ließ
die Henkel los. «Das dachte ich mir. Bring mir was Anständiges zu essen und
eine Flasche Bordeaux.»
Fletcher
verbeugte sich und verschwand mit dem Tablett. Drei Minuten später öffnete sich
wieder die Tür, und Miss Challoner trat ein. Sie stellte das bewußte Tablett
auf den Nachttisch und reichte Seiner Lordschaft eine Serviette. «Es tut mir
leid, aber den Bordeaux kann ich Ihnen nicht erlauben, Sir», sagte sie. «Ich
glaube jedoch, meine Suppe wird Ihnen gar nicht so schlecht schmecken, denn wie
man sagt, bin ich eine passable Köchin.»
Vidals
Augen blitzten ärgerlich auf. «Sie fallen aus der Rolle, Madam. Ich lege weder
Wert auf Ihre Fürsorge noch auf eine Probe Ihrer Kochkunst. Darf ich Sie mit
allem Nachdruck darum ersuchen, mich in Hinkunft in Frieden zu lassen.»
Miss Challoner
wirkte durchaus nicht niedergeschmettert. «Gern, Sir, aber wollen Sie die Suppe
nicht wenigstens kosten, um mir einen Gefallen zu tun?»
«Nein.»
Miss
Challoner nahm das Tablett und stieß einen kleinen traurigen Seufzer aus. «Ich
wollte Sie nicht kränken, Mylord», sagte sie mit etwas bebender Stimme, «aber
ich dachte, wenn ich sie besonders sorgfältig zubereite, würden Sie vielleicht
nicht so unfreundlich sein, sich zu weigern, wenigstens einen Löffelvoll zu
kosten.»
«Dann haben
Sie sich eben geirrt», antwortete Seine Lordschaft eisig.
«Ja», sagte
Miss Challoner. Es klang ziemlich unglücklich. «Das sehe ich. Wahrscheinlich
war es sehr anmaßend von mir. Verzeihen Sie, Sir.»
Sie ging
langsam auf die Tür zu. Seine Lordschaft sagte mit der Stimme eines Menschen,
dessen Nerven im Begriff sind, zu versagen: «In Gottes Namen, gib schon her,
Mädchen– gib schon her! Ich schlucke die Brühe, wenn's dich freut.»
Miss
Challoner schien zu zögern. «Sicher würde es mich freuen, doch ich will Ihnen
auf keinen Fall lästig sein.»
«Um Himmels
willen, reden wir nicht mehr lang darum herum!» flehte Vidal. «Geben Sie's her,
und damit basta!»
Miss
Challoner brachte gehorsam das Tablett zurück. Sie setzte sich neben das Bett
und
Weitere Kostenlose Bücher