Georgette Heyer
Rand seines Glases
hinweg. «Ich halte es für meine Pflicht, Madam, Sie zu warnen, daß dieser
Musterknabe heimlich mit einer meiner Cousinen verlobt ist. In Wahrheit fährt
er nach Paris, um sie zu entführen – das weiß ich aus berufenem Munde.»
«Wirklich?»
fragte Miss Challoner in unschuldsvollem Ton. «Ihre Cousine ist Ihnen wohl sehr
ähnlich?»
«Oh, nur
die übliche Familienähnlichkeit, Madam», erwiderte Seine Lordschaft. «Sie
würden ihr gefallen», fügte er nachdenklich hinzu. «Ich kann mir nicht
vorstellen, warum, Sir.»
«Ihr würde
jede Frau gefallen, die mich heiratet.»
Miss
Challoner schaute ihn neugierig an. «Hat sie Sie so ins Herz geschlossen?»
«Nein, das
ist nicht der Grund. Ihre Mama, meine ehrgeizige Tante Fanny, sähe sie gern als
meine Braut – ein Plan, der Juliana ebenso mißfällt wie mir.»
«Juliana?»
fragte Miss Challoner hastig.
«Ja, meine
Cousine.»
«Natürlich,
das habe ich verstanden, Mylord. Aber wie heißt sie mit dem Nachnamen?»
«Marling»,
sagte Seine Lordschaft. «Warum fragen Sie?»
Miss
Challoner hopste auf ihrem Stuhl herum. «Juliana Marling! Ihre Cousine! Aber
die kenne ich doch!»
«So?» sagte
Vidal ohne sichtbare Gemütsbewegung. «Ein verrücktes Frauenzimmer, nicht
wahr?»
«Oh, sie
war meine beste Freundin!» rief Miss Challoner. «Aber ich hätte mir nie träumen
lassen, daß sie Ihre Cousine ist! Wir waren zusammen im Institut, müssen Sie
wissen.»
«Wo die
gute Juliana herzlich wenig gelernt hat, möchte ich wetten.»
«Na ja,
zumindest nicht sehr viel», räumte Miss Challoner ein. «Einmal hat man sie
sogar nach Hause geschickt, weil sie – äh – mit dem Zeichenlehrer flirtete. Sie
sagte immer, man hätte ihr nur verziehen, weil ihr Onkel ein Herzog ist.»
«Geflirtet?
Geküßt hat sie den Zeichenlehrer, wie? Das würde ich ihr ohne weiteres
zutrauen!»
«Will sie
wirklich Mr. Comyn heiraten?» fragte Miss Challoner.
«Angeblich
ja. Aber sie kann jetzt nicht mit ihm durchbrennen, bevor unsere Angelegenheit
geregelt ist. Es ist wirklich ein glücklicher Zufall, daß Sie sie kennen!» Er
stieß seinen Stuhl zurück und stand auf. «Im Augenblick befindet sie sich bei
meiner Cousine Elisabeth – dorthin hat ihre Mutter sie verfrachtet, damit sie
den ach so ungelegenen Comyn vergißt. Ich werde ihr sofort meine Aufwartung
machen, wenn wir in Paris sind, und ihr die ganze Geschichte erzählen. Sie ist
zwar eine dumme kleine Gans, aber sie hat mich gern und wird bestimmt tun, was
ich ihr sage. Sie könnte behaupten, sie hätte Sie in Paris getroffen, gerade
als Sie mit – hm! – einer Tante oder so etwas Ähnlichem nach England
zurückkehren wollten. Dann braucht sie nur Tante Elisabeth zu erklären, daß sie
Sie überredet hat, ein oder zwei Wochen bei ihr zu bleiben, und Sie ziehen
offiziell und in allen Ehren ins Hotel Charbonne, von wo ich Sie so bald als
möglich entführen werde – hoffentlich bevor Tante Elisabeth die Komödie
durchschaut.»
Miss
Challoner überlegte blitzschnell. Juliana in Paris – das bedeutete, daß sie
ihr helfen konnte, eine Stelle bei irgendeiner vornehmen Familie zu finden. So
wie sie ihre Freundin kannte, brauchte sie nicht zu befürchten, daß Juliana
über ihre sonderbare Eskapade schockiert sein würde. «Ja, Mylord, das ist eine
ausgezeichnete Idee – zumindest in gewisser Hinsicht, aber ich glaube, Sie
haben nicht ganz begriffen, wie vorteilhaft Julianas Anwesenheit in
Paris ist. Sie haben selbst gesagt, Sir, daß mein plötzliches Auftauchen
dadurch einen absolut ehrbaren Anstrich bekäme. Ich müßte meiner Mutter doch
nur erzählen, Juliana wäre von Anfang an auf unserer Reise dabeigewesen – damit
wäre mein Ruf gerettet.»
Er
schüttelte den Kopf. «Ich fürchte nein, Mary. Es ist zwar eine gute Lüge, aber
viel zu viele Leute würden sie als solche erkennen. Außerdem hat Ihre Mama, so
wie ich sie einschätze, sicher nichts Eiligeres zu tun gehabt, als meine Eltern
von Ihrer Entführung zu benachrichtigen und so viel Staub aufzuwirbeln wie nur
möglich. Ich kann mir gut vorstellen, daß sie mich auf diese oder ähnliche Art
auch zur Heirat mit Sophia zwingen wollte. Stimmt's?»
«Ja»,
hauchte Miss Challoner errötend und zutiefst beschämt.
Der Marquis
strich ihr nachlässig mit einem Finger über die Wange, als er an ihrem Stuhl
vorbeiging. «Kein Grund, so ein betrübtes Gesicht zu machen, Kindchen. Ich bin
im Bilde. Zum Glück wird sie ihre Pläne nicht gleich in die Tat
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