Georgette Heyer
umsetzen
können, weil meine Eltern nicht in London sind. Als ich mich von meinem Vater
verabschiedete, war er im Begriff, zu den Rennen nach Newmarket zu fahren, und
meine Mutter wollte ihn bis Bedford begleiten, um eine Zeitlang bei den Vanes
zu bleiben. Wir haben daher mindestens vierzehn Tage Galgenfrist, aber bestimmt
keinen Tag länger. Schreiben Sie Ihrer Mutter, daß Sie sich verlobt haben – das
wird ihr den Mund stopfen.»
«Und Sie?»
fragte Miss Challoner, indem sie dem rastlos auf und ab wandernden Marquis mit
den Blicken folgte. «Beabsichtigen Sie, Ihren Vater davon ebenfalls in Kenntnis
zu setzen?»
Unwillkürlich
kräuselte ein Lächeln seine Mundwinkel, und er unterließ es, zu bemerken, daß
sich Seine Gnaden beileibe nicht über sein zügelloses Benehmen ärgern würde,
sondern über seine ehrbaren Heiratsabsichten. «Nicht notwendig», antwortete er
kurz. «Seine Gnaden dürfte sich wohl kaum für meine Angelegenheiten interessieren.»
«Ich möchte
auf keinen Fall despektierlich von Ihrem Vater sprechen, Sir, aber aus dem
wenigen, das ich bisher von ihm gehört habe, schließe ich, daß er, obwohl er
über Ihre delikaten Affären hinwegsieht, trotzdem alles in seiner Macht Stehende
tun würde, um zu verhindern, daß Sie eine so unstandesgemäße Verbindung
eingehen.»
«Ich hoffe
inbrünstig, daß Sie sich irren, meine Liebe», erwiderte Seine Lordschaft
heiter, «denn wenn mein Vater alle seine Mittel spielen läßt, um ein Ziel zu
erreichen, hat er leider immer Erfolg.»
Miss
Challoner erhob sich mit einem leicht ironischen Lächeln. «Bezaubernd
formuliert, Mylord. Man könnte fast annehmen, Sie wollen mich heiraten.»
Sie schritt
auf die Tür zu, die ihr Seine Lordschaft aufhielt. «Seien Sie versichert,
Madam, ich befreunde mich von Stunde zu Stunde mehr mit dem Gedanken», sagte
er, wobei er zu ihrer Überraschung ihre Hand ergriff, um äußerst stilvoll einen
Kuß darauf zu drücken.
Während sie
die Treppe hinaufging, dachte sie, je früher es ihr gelänge, den schützenden
Fittichen Seiner Lordschaft zu entwischen, desto besser würde es für ihren
Seelenfrieden sein.
Am nächsten
Tag setzen sie ihre Reise fort, allerdings mit häufigen Unterbrechungen und auf
Miss Challoners Bitte in einem etwas gemäßigteren Tempo.
Sie war ein
wenig belustigt über die entourage des Marquis. Außer der Chaise, in der
sie selbst saß, gab es noch eine leichte Kutsche zur Beförderung von Mr. Timms
und zahlreichen Gepäckstücken. Seine Lordschaft hatte es vorgezogen, die
Strecke hoch zu Roß zurückzulegen, und in seinem Schlepptau folgte – so hatte
es zumindest den Anschein – sein halber Haushalt. Miss Challoner machte eine
Bemerkung über sein imposantes Gefolge und erfuhr, daß der Marquis bislang der
Meinung gewesen war, mit leichtem Gepäck zu reisen. Als er ihr die diesbezüglichen
Gewohnheiten seiner Mutter beschrieb, stimmte sie der Gedanke, der Herzogin von
Avon wahrscheinlich nie zu begegnen, ein bißchen traurig. Für Ihre Gnaden kamen
anscheinend nur zwei Arten von Reisen in Frage: entweder sie machte sich mit
ihrer gesamten Garderobe und einem Großteil ihrer Möbel auf den Weg, wobei ihr
ein kleines Heer von Dienern vorauszog, um in jedem Gasthof, in dem sie einkehrte,
alles für ihren Empfang vorzubereiten, oder sie brach so hastig auf, daß sie
sogar vergaß, Kleidung zum Wechseln mitzunehmen.
Miss
Challoner entdeckte bald, daß der Marquis seine Mutter glühend verehrte, und
am Ende der Reise war ihr die charmante Herzogin schon fast vertraut, so viel
hatte sie über sie erfahren. Auch der Herzog blieb ihr nicht fremd, doch was
sie über ihn wußte, genügte, daß sie dankbar war, durch den Kanal von ihm
getrennt zu sein. Offenbar war er ein etwas unheimlicher Patron mit einem
gefährlich durchdringenden Verstand.
In den vier
Tagen, die sie für die Reise nach Paris benötigten, verlor der Marquis nur
zweimal die Beherrschung. Der erste Anlaß dafür bot sich in Rouen, wo Miss
Challoner auf eigene Faust die Kathedrale besichtigen wollte und dabei um ein
Haar einer Gruppe Engländer in die Arme lief, was zur Folge hatte, daß sich bei
ihrer Rückkehr ein heiliges Donnerwetter über ihrem Haupt entlud; der zweite
Grund für eine lautstarke Auseinandersetzung war ihre Weigerung, die von
Seiner Lordschaft bereitgestellten Kleider zu tragen. Dieser Streit nahm
beunruhigende Ausmaße an, und erst als der Marquis erklärte, dann werde er ihr
die Sachen eben eigenhändig
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