Georgette Heyer
geschlossen.
12
Als Miss Marling von der Absicht ihrer
geliebten Mary hörte, sich als Gouvernante zu verdingen, war sie schlau genug,
ihre Bestürzung nicht offen zu zeigen. Das muntere Persönchen brauchte nicht
lange, um Marys Gemütsverfassung zu durchschauen, und beschloß im gleichen Augenblick,
Miss Challoners Heirat mit dem Marquis zu fördern. Sie lauschte geduldig, aber
insgeheim vom Gegenteil überzeugt, Marys standhaften Beteuerungen, keinerlei
zarte Empfindungen für ihn zu hegen, und schlug die Bitte, ihr bei der Suche
nach einer vornehmen Familie behilflich zu sein, rundweg mit der Begründung
ab, keine zu kennen. Mary mußte trotz der paar geborgten Guineen, die in ihrer
Tasche klimperten, erkennen, daß sie sich wie eh und je in Vidals Gewalt
befand, und da sie fürchtete, unverzüglich auf die Straße gesetzt zu werden,
falls sie Tante Elisabeth ins Vertrauen zog, lieferte sie sich auf Gedeih oder Verderb
Juliana aus und flehte sie an, sie vor Vidal zu retten. In einer fremden Stadt
ganz allein und mittellos dazustehen, war ein Schicksal, vor dem sogar der
unerschrockenen Miss Challoner graute. Sie konnte sich des Eindrucks nicht
erwehren, nun doch in arger Bedrängnis zu sein, und nach ihrem vergeblichen
Appell an Juliana schien auch die letzte Hoffnung zunichte, Seine Lordschaft in
angemessener Entfernung halten zu können.
Juliana
wies sie mit unzweifelhaft von ihrer Mutter erlernter Weltklugheit auf die
Vorzüge einer solchen Verbindung hin und sagte, sie sei zwar überzeugt davon,
daß Vidal einen Alptraum von Ehemann abgeben würde, aber dennoch wäre es eine
maßlose Dummheit, ihn nicht zu nehmen, wo doch fast alle Mütter mit
heiratsfähigen Töchtern in London hinter ihm her waren wie die Bienen hinter
dem Honig.
Mary sagte
unglücklich: «Aber ich habe dich doch so gebeten, ja beinah auf den Knien
angefleht, mir zu helfen, dieser Falle zu entrinnen. Bin ich dir denn so
gleichgültig?»
«Ganz im
Gegenteil – ich habe dich so gern, daß mich der Gedanke geradezu entzückt, du
könntest meine Cousine werden», antwortete Miss Marling, indem sie Mary
herzlich umarmte. «Wirklich, Liebste, ich traue mich nicht, dich heimlich
fortzuschmuggeln. Ich habe Vidal versprochen, es nicht zu tun, und selbst wenn
ich mich nicht daran halte, würde er dich im Nu wiederfinden. Was willst du
heute abend für den Ball anziehen?»
«Ich gehe
nicht», sagte Mary leise.
«Du meine
Güte, Mary, warum denn nicht?»
«Ich bin
unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in das Haus deiner Cousine gekommen»,
antwortete Mary bitter. «Sie würde mich wohl kaum mitnehmen, wenn sie die
Wahrheit wüßte.»
«Na schön,
aber sie weiß sie eben nicht», rief Juliana. «Komm doch, Liebste, Vidal wird
auch da sein.»
«Ich habe
kein Verlangen, Seiner Lordschaft zu begegnen», sagte Mary und wollte sich
danach nicht mehr zu dem Thema äußern.
Mme. de
Charbonne, deren größter Vorzug unzweifelhaft ihre liebenswürdige
Unkompliziertheit war, nahm Marys Wunsch, zu Hause zu bleiben, mit der gleichen
Gelassenheit zur Kenntnis wie vor zwei Tagen ihre überraschende Ankunft. Mary
hatte ihr in ihrer Verzweiflung erzählt, sie sei gezwungen, sich selbst ihren
Lebensunterhalt zu verdienen, und es war offenkundig, daß Madame – die in
ihrem jungen Gast seit der Enthüllung dieser Neuigkeit eine Art Tara avis sah
– die Meinung vertrat, ein Ballbesuch wäre für ein Mädchen in ärmlichen Verhältnissen
nicht eben angebracht. Auf die Frage, ob sie Miss Challoner einer geeigneten
Familie empfehlen könne, hatte Madame nur zerstreut geantwortet, sie würde
daran denken, was allerdings nicht sehr ermutigend klang.
Nachdem sie
Juliana in ihrem Feststaat – rosaroter, mit Silberchenille geputzter und über
einen riesigen Reifrock arrangierter Taft, das Haar von niemand Geringerem als
M. le Gros höchstpersönlich zu ihrer Lieblingsfrisur ä la gorgonne frisiert,
und bei jedem Schritt den zarten Duft von Kassiablüten verströmend – mit
gebührender Bewunderung von allen Seiten betrachtet hatte, wünschte ihr Miss
Challoner gute Unterhaltung und zog sich in einen der kleineren Salons zurück,
um einen ruhigen Abend zu verbringen, den sie größtenteils dazu benutzen
wollte, sich ernsthaft mit dem Problem einer Flucht zu beschäftigen, eine Absicht,
die jedoch keine halbe Stunde, seit Madame de Charbonne und Juliana das Haus
verlassen hatten, durch das Erscheinen Mr. Frederick Comyns vereitelt wurde.
Sie hatte
Mr. Comyn seit
Weitere Kostenlose Bücher