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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lord Sherry
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fürchtete, daß sie sich in den Schlaf geweint haben könnte.
Als sie zum Frühstück nicht erschien, war er davon überzeugt. So begab er sich,
sobald er seine eigene Mahlzeit beendet hatte, in ihr Zimmer hinauf und klopfte
höflich an die Türe. Er erhielt keine Antwort. Nachdem er einen Moment gewartet
hatte, drückte er die Türklinke nieder und trat ein. Das Zimmer lag in
Dunkelheit. Überrascht zögerte er einen Augenblick, bevor er seine Frau beim
Namen rief. Er erhielt wieder keine Antwort. Plötzlich hatte der Viscount, ohne
recht zu wissen warum, das Gefühl, daß sich außer ihm niemand im Zimmer befand.
Er eilte zum Fenster, riß die Vorhänge zurück und drehte sich um. Aber er sah
kein irrendes Weib, das schlafend in dem von seidenen Vorhängen umrahmten Bette
lag. Die Daunendecke war nicht umgeschlagen worden, auf dem Kopfkissen lag
jedoch ein versiegelter Brief. Der Viscount ergriff ihn, und seine Hand war
dabei nicht ganz ruhig. Er trug seinen Namen. Sherry erbrach das Siegel und
öffnete den Briefbogen.
    Sherry , ich bin Dir davongelaufen, weil
ich niemals zu Deiner Mama gehen werde und jetzt einsehe, daß es auch keinen
Zweck hätte, selbst wenn ich es täte. Du hattest ja recht, als Du sagtest, Du
hättest mich nicht heiraten sollen, obwohl ich es damals nicht wußte, als ich
noch so unwissend und dumm war. Ich allein bin an allem schuld, denn ich wußte
ja immer schon, daß Du mich nicht liebst, und Du bist so geduldig mit mir
gewesen und so freundlich, und ich weiß, daß ich sehr lästig war und Dir Dein
Leben ruiniert habe und überdies noch Schulden machte, wodurch Du genötigt
warst, Pferde zu verkaufen; und auch weil ich nicht wußte, wie ich es
bewerkstelligen soll, daß Mrs. Bradgate nicht so teure Sachen bestellt wie die
schrecklich hohe Kerzenrechnung und ein Dutzend andere. Bitte, Sherry, laß Dich
also von mir scheiden und vergiß mich, und bitte quäle Dich nicht mit Gedanken,
was aus mir geworden ist. Ich werde ganz gut weiterkommen, und Du wirst auch
keine Möglichkeit haben, mich zu finden. Ich hoffe auch, Sherry, daß Du nicht
böse bist, weil ich die Salonuhr mitgenommen habe und meinen Kanarienvogel,
denn sie gehören wirklich ebenso mir wie die Ohrringe, die Du mir am
Hochzeitstag geschenkt hast, und Ferdys Armband.
    Dein Dich liebendes Kätzchen.
    Die Lippen des Viscount zuckten; er sah
von dem Brief auf und starrte die vertrauten Dinge an, die plötzlich trostlos
und verlassen aussahen. Er fand, daß er außerstande war, klar zu denken, denn
wenn er versuchte, sich auf das Problem von Heros derzeitigem Aufenthaltsort
zu konzentrieren, schien sein Verstand völlig zu versagen, und der einzige
Gedanke, der sich stumpfsinnig wiederholte, war der, daß sie ihn verlassen
hatte.
    Als er das
Zimmer betreten, hatte er die Tür offen gelassen, und nach einigen Minuten
bemerkte er, daß jemand unter der Tür stand. Er sah sich rasch um und erkannte
seinen Kammerdiener, der ihn mit ernster Miene ansah. Sie blickten einander
schweigend an, der Viscount versuchte sich etwas auszudenken, um das
Verschwinden seiner Frau zu erklären, und Bootle wartete stumm. Dem Viscount
wollte nichts einfallen, und plötzlich wußte er, daß auch der Versuch einer
Erklärung zwecklos wäre. Er sagte abrupt: «Bootle, wann hat Mylady das Haus
verlassen?»
    Der
Kammerdiener trat ins Zimmer und schloß die Tür. «Ich weiß es nicht, Mylord,
ich glaube aber in der vergangenen Nacht.» Er trat ans Fenster und zog die
Vorhänge sorgfältig zurecht, die sein Herr so hastig zurückgeschoben hatte.
Dann fügte er mit farbloser Stimme hinzu: «Ich glaube, Mylord, daß Mylady ihre
Kammerfrau mitgenommen hat, denn das Stubenmädchen meldete, daß Marias Bett
unberührt ist.»
    Er bemerkte
mit Befriedigung, daß sich die Miene seines Herrn merklich aufhellte. Er sagte,
fast noch unbeteiligter als zuvor: «Ich habe mir die Freiheit genommen, Mylord,
das Personal zu verständigen, daß Mylady überstürzt abreisen mußte, weil eine
Verwandte von Mylady erkrankt ist.»
    Der
Viscount errötete. «Ja, sehr gut. Danke.» Er faltete den Brief, den er noch
immer in der Hand hielt, und steckte ihn in die Tasche. «Sie werden es wohl
nicht glauben.»
    «O ja,
Mylord», erwiderte Bootle ruhig. «Eure Lordschaft können sich auf mich
verlassen. Wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, Mylord, möchte ich mir zu
sagen erlauben, daß für Eure Lordschaft keine Veranlassung besteht, sich
bezüglich der Bradgates Sorgen zu machen.

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