Georgette Heyer
entschlossen entgegentreten, dachte sie
allmählich, daß sie Gerard als Gatten würde recht gut leiden können. Zumindest war
er nett und sanft und liebte sie sehr; und obwohl er nicht ihr Ideal war, nahm
sie an, sie würden beide recht zufrieden miteinander leben können.
Da sie von ihrer überwältigenden
Furcht erlöst war, konnte sie dem Rest des Schauspiels mit leidlichem Vergnügen
zuhören. Aber ihre Lebhaftigkeit hatte sie doch nicht zurückgewonnen und war so
matt und teilnahmslos, daß Mrs. Floore, sobald Mr. Goring sie nach Hause
gebracht hatte, sagte: «Jetzt, Emma, Liebes, sagst du deiner Großmama nur
gleich, was denn eigentlich los ist, und keine Umschweife! Wenn du wie eine
ersoffene Maus ausschaust, nur, weil deine Ma morgen zu mir kommt, dann bist du
ein Dummchen. Na, stimmt's?»
«Ich – ich habe Angst, Mama will mich dir
wegnehmen, Großmama!» stammelte Emily.
«Gott segne dich!» rief Mrs. Floore
aus und gab ihr einen herzhaften Schmatz. «Du willst also deine Oma nicht
verlassen! Nun, ich leugne nicht, daß es meiner Seele wohltut, dich so etwas
sagen zu hören, mein Schatz, aber alles hat seinen Grund, und ich kann nicht
behaupten, daß es mich überrascht, wenn deine Ma ein bißchen ungeduldig
geworden ist. Ich bin überzeugt, sie hat inzwischen den Kopf voll mit deinen
Brautkleidern – und du wirst das in Kürze auch haben! Gott, wie ich mich schon
darauf freue, alles über dich zu lesen, wenn du eine Marchioness bist! Denke
daran, was alles vor dir liegt, Schatz, und kümmere dich nicht um deine alte
Oma!»
Diese ermunternde Rede, so gut sie
gemeint war, schloß die Vertraulichkeit endgültig aus. Großmama wünschte
ebensosehr wie Mama, Emily als Marchioness zu sehen. Emily küßte sie und ging
zu Bett, plante ihre Flucht am nächsten Morgen, betete, daß sie nicht durch die
Ankunft ihres Verlobten zunichte gemacht würde, und fragte sich, wohin wohl
Gerard sie zu führen gedachte.
20
Als Serena auf ihrer schönen Stute und
in Begleitung ihres Reitknechts am nächsten Morgen um elf Uhr am Beaufort
Square ankam, war sie etwas überrascht, als sie kein Mietpferd vor dem Haus
Mrs. Floores stehen sah. Emily, die sich der Ehre voll bewußt war, mit einer
so bekannten Reiterin ausreiten zu dürfen, hatte es sich angewöhnt, ihr
Mietpferd immer mindestens zwanzig Minuten früher vorführen zu lassen und aus
dem Haus zu laufen, sobald sie von ihrem Beobachterposten am Eßzimmerfenster
die adrette Gestalt um die Ecke des Platzes biegen sah.
«Klopfe Er lieber an, Fobbing»,
sagte Serena und streckte die Hand nach dem Zügel seines Pferdes aus.
Aber noch bevor er die Haustür
erreichte, öffnete sie sich, und Mr. Goring trat heraus. Er kam zu Serena,
schaute sehr ernst in das schöne Gesicht empor und sagte: «Lady Serena, Mrs.
Floore bittet Sie durch mich, doch so gut zu sein und auf einen Augenblick
hineinzukommen.»
Ihre Brauen hoben sich schnell.
«Gewiß will ich das. Ist etwas nicht in Ordnung?»
«Ich fürchte sehr – ganz und gar
nicht in Ordnung», antwortete er düster. Er streckte die Hand aus. «Darf ich
Ihnen helfen ...»
«Nein, danke.» Mit einer geschickten
Bewegung schwang sie ihren weiten Rock über den Sattelknauf. Im nächsten
Augenblick stand sie schon unten und übergab Fobbing den Zügel, raffte den Rock
zusammen, legte die Schleppe über den Arm und ging mit Mr. Goring ins Haus.
«Ist Emily krank?» fragte sie.
«Nein, nicht krank. Aber es wird
besser sein, Sie erfahren von Mrs. Floore, was geschehen ist. Ich selbst bin
erst vor kurzem hier eingetroffen und – aber ich will Sie zu Mrs. Floore
hinaufführen. Ich muß Sie nur warnen, Lady Serena, Sie werden sie in
beträchtlicher Verzweiflung antreffen.»
«Guter Gott, was kann da bloß
geschehen sein?» rief sie und eilte, ihre Reitgerte immer noch in der Hand, die
Treppe hinauf.
Er folgte ihr kurz auf den Fersen
und schlüpfte im ersten Stock an ihr vorbei, um ihr die Tür zum Salon zu
öffnen. Serena trat mit ihrem freien Schritt ein, blieb aber erstaunt und
bestürzt vor dem Schauspiel stehen, das sich ihr bot. Die gestrenge Mrs.
Floore, noch immer in ihrem Schlafrock, lag in einen tiefen Ohrenstuhl
zurückgelehnt, ihre Haushälterin hielt ihr angesengte Hühnerfedern unter die
Nase, und ihre Zofe kniete vor ihr und rieb ihr die Hände.
«Meine liebe Ma'am! Um Himmels
willen, was für ein gräßliches Unglück ist Ihnen zugestoßen?» fragte Serena.
Die Haushälterin, in Tränen
aufgelöst, schluchzte:
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