Georgette Heyer
wie ein Engel aussah. Ihrer Ansicht nach waren Engel ätherische
Wesen, und an Serena war durchaus nichts Ätherisches. Sie war eine große,
wunderschöne, mondäne junge Dame, ein Bild strahlender Gesundheit, und so voll
Vitalität, daß eine halbe Stunde in ihrer Gesellschaft schwächliche Menschen
zur Beute von Kopfschmerzen, Herzklopfen und nervösen Krämpfen machte. Es kam
nicht daher, wie Mrs. Kirkby ihrer ältlichen Gesellschafterin versicherte, daß
sie eine kräftige Stimme hatte, denn ihre Stimme war von besonderem Wohllaut.
Es kam auch nicht daher, daß sie redselig gewesen wäre, oder anmaßend oder
zappelig, denn das alles war sie nicht. Ja, Mrs. Kirkby war überhaupt nicht
imstande gewesen, Fehler zu entdecken; was sie niedergeschmettert hatte, waren
Lady Serenas Vorzüge. «Jeder Mensch kann sehen», sagte sie, während sie
zwischendurch immer wieder an ihrem Riechfläschchen schnupperte, «daß sie
immer nur in den allerersten Kreisen verkehrt hat! Ihre Manieren sind von jener
wohlerzogenen Selbstverständlichkeit, die eben zeigt, daß sie es gewöhnt war,
jeder Art von Leuten gegenüber als Gastgeberin zu fungieren, von königlichen
Hoheiten abwärts bis zu Bürgerlichen. Ihr Benehmen mir gegenüber war einfach
vollkommen, und was ich je angestellt habe, daß ich es verdiene, plötzlich
eine solche Schwiegertochter zu bekommen, weiß ich wahrhaftig nicht!»
Glücklicherweise war der Major viel
zu geblendet von der glänzenden Erscheinung seiner Göttin, um einen Mangel an
Enthusiasmus bei seiner Mutter zu entdecken. Ihm schien es, als hätte Serena
Licht in ein sonnenloses, dunkles Zimmer getragen, und es wäre ihm nicht eingefallen,
daß es jemandem zu stark sein könnte. Er war so überzeugt, daß niemand Serena
erblicken konnte, ohne gefangen zu sein, und so völlig gefesselt von ihr, daß
er alle nachgiebigen Antworten seiner Mutter auf die begierigen Fragen, die er
ihr später stellte, wörtlich nahm. Hatte sie je soviel auffallende Schönheit
gesehen? Nein, wirklich nicht. Ein so edles Gesicht, einen solchen Teint? Ja,
tatsächlich! Und diese Augen! Er hatte doch gewußt, daß sie von ihnen
fasziniert sein würde, ob sie wollte oder nicht; so lebendig und ausdrucksvoll,
und der Bogen der Lider, der ihnen diesen lächelnden Ausdruck verlieh! Sehr
wahr: höchst bemerkenswert! Und er hätte schwören können, daß ihr die
Vollkommenheit ihrer Manieren gefallen mußte, so ungezwungen, so geschliffen
und doch so natürlich! Genau das. Und die Anmut jeder Bewegung! O ja. Sehr
anmutig. Er wußte nicht, wie das kam, denn sie versuchte nie, die Gesellschaft,
in der sie war, zu beherrschen, aber wenn sie ein Zimmer betrat, schien es von
ihrer Persönlichkeit ausgefüllt zu sein: hatte seine Mutter das gemerkt? Und
ob ... Hielt sie ihn für sehr phantastisch, wenn er ihr sagte, es scheine ihm,
als besäßen diese wunderbaren Augen Zauberkraft? Er glaubte, sie verhexten
jeden, auf den sie blickten! Ja, wahrhaftig. Das glaubte Mrs. Kirkby – und sie
sagte es mit versagender Stimme – wirklich auch.
So konnte der Major guten Glaubens
Serena erzählen, seine Mutter sei von ihr hingerissen; und so betört war er,
daß er an Mrs. Kirkbys Versicherung der mitfühlenden Miss Murthly gegenüber,
Lady Serena habe ihren Sohn verhext, nichts Verdächtiges gefunden hätte.
In seinen helleren Momenten
zweifelte der Major leise an der Zustimmung seiner Mutter zu allen Handlungen
Serenas; und ohne sich dessen voll bewußt zu sein, war er froh über die
Zurückgezogenheit, in der sie lebte, denn so war es unwahrscheinlich, daß ihr
gewisse Einfälle Serenas zu Ohren kommen würden. Obwohl sie selbst aus einem
beachtlichen Hause stammte, hatte sie sich doch nicht in den höchsten
Gesellschaftskreisen bewegt und hätte es daher möglicherweise nicht verstanden,
daß der Kodex des Gehabens, wie er hier herrschte, weniger streng war als
jener, an den sie gewöhnt war. Die großen Damen erlaubten sich mehr Freiheit,
als es die Regel unter dem Kleinadel war. Ihre Manieren waren freier; sie
drückten sich in einer Sprache aus, die altmodische Leute schockierte;
geschützt von Geburt und Rang, lag ihnen wenig am äußeren Schein, und sie
kümmerten sich viel weniger um den Anstand als Menschen, die nicht im
Vordergrund standen. Als der Major Serena zum erstenmal kennengelernt hatte,
war er verblüfft über den großen Unterschied gewesen, der zwischen ihren Beziehungen
zu den älteren Familienmitgliedern und jenen Regeln
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