Georgette Heyer
schläfrig und schrecklich hungrig; und in
London habe ich mich oft gewundert, wie sie es zustandebrachten, daß sie von
all den Gesellschaften und dem Lärm und den Ausflügen nicht im geringsten müde
wurden.» Sie lächelte und sagte entschuldigend: «Ich weiß nicht, wie das kommt,
aber wenn ich etwa ein Frühstück geben und am selben Tag auch noch einen Ball
besuchen muß, dann bleibt mir nichts übrig, als den ganzen Nachmittag zu
ruhen.»
Er sah drein, als erstaune ihn das
durchaus nicht. «Und Serena nicht?»
«O nein! Sie legt sich bei Tag nie
hin. Das ist es ja, warum ihr dieses Schlenderleben so besonders ärgerlich
ist. In London pflegte sie noch vor dem Frühstück im Hyde Park zu reiten und
vielleicht auch gleich einkaufen zu gehen. Dann haben wir sehr oft ein
Frühstück gegeben oder waren zu einem Frühstück bei einem der zahlreichen
Bekannten Lord Spenboroughs eingeladen. Dann mußte man Besuche machen und
vielleicht zu einem Rennen oder einem Picknick oder so etwas gehen. Und im
allgemeinen gab es abends ein Essen oder Theater und drei oder vier Bälle oder
Gesellschaften, die man nachher noch besuchen mußte.»
«So sah Ihr Leben aus?» fragte er
ziemlich entsetzt.
«O nein! Wissen Sie, ich kann da
nicht mitkommen. Ich bemühte mich sehr, mich daran zu gewöhnen, weil es meine
Pflicht war, Serena zu begleiten. Aber als sie sah, wie müde ich war und wie
oft ich Kopfweh hatte, erklärte sie, sie würde mich nicht mitschleppen und es
auch Mylord nicht erlauben. Sie können sich nicht vorstellen, wie lieb sie
immer zu mir ist, Major Kirkby! Meine beste, meine teuerste Freundin!»
Die Tränen stiegen ihr in die Augen;
er drückte ihr leicht die Hand und sagte gerührt: «Daran zweifle ich nicht im
geringsten!»
«Sie hat ein Herz aus Gold!» sagte
sie ernsthaft. «Wenn Sie wüßten, wie sie sich um mich kümmert, wie geduldig
sie mit mir ist, Sie würden staunen!»
«Das würde ich gar nicht!» sagte er
lächelnd. «Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der je die Geduld mit
Ihnen verlieren könnte!»
«O doch, die gibt's!» versicherte
sie ihm. «Mama und meine Schwestern haben sie oft verloren, denn ich bin die
Dümmste in der Familie, habe außerdem Angst vor fremden Leuten und besuche
Gesellschaften nicht übermäßig gern und bin noch in vielen anderen Dingen dumm.
Aber Serena, die alles so gut kann, war nie bös auf mich! Major Kirkby, wenn
sie nicht gewesen wäre, ich weiß nicht, was ich ohne sie angefangen hätte!»
Er glaubte es gern, daß für ein
solches Kind, wie sie es zur Zeit ihrer Heirat gewesen war, das Leben in dem
großen Spenborough-Haushalt überwältigend und furchterregend gewesen sein
mußte. Er sagte mitfühlend: «War es sehr schlimm?»
Die Antwort entschlüpfte ihr
unwillkürlich. «Oh, wenn ich nicht Serena gehabt hätte, ich hätte es nicht
ertragen!» Sie wurde über und über rot und sagte schnell: «Das heißt – ich will
damit sagen – so viele Leute zu Gast zu haben – mit ihnen reden zu müssen – die
Herrin eines so riesengroßen Hauses zu sein! Und dazu die politischen
Gesellschaften! Die waren das Schlimmste daran, denn ich verstehe rein gar
nichts von Politik, und wenn Serena mir nicht immer rücksichtsvoll gesagt
hätte, worüber man beim Diner sehr wahrscheinlich sprechen würde, wäre ich einfach
geschwommen! Und außerdem ist das Gräßliche daran, daß die Leute in den
höchsten Kreisen untereinander immer verwandt sind, so daß man ständig in
Schwierigkeiten gerät!»
Er mußte lachen, sagte aber: «Ich
weiß genau, was Sie meinen!»
«Ja, aber wissen Sie, Serena hat mir
immer jeden erklärt, und so konnte ich mich ganz geschickt aus der Affäre
ziehen. Und sie war ja diejenige, die alles leitete. Sie hat das immer schon
gemacht.» Sie hielt inne und sagte dann schüchtern: «Wenn – wenn Sie sie manchmal
vielleicht für eigenwillig halten, oder – oder für zu selbstbewußt, dann müssen
Sie daran denken, daß sie die Herrin im Haus ihres Vaters war und die
Gastgeberin, und daß er sich darauf verließ, daß sie sich um alle die Dinge
kümmerte, von denen im allgemeinen eine unverheiratete Frau nichts versteht.»
«Ja», sagte er bedrückt. «Lord
Spenborough muß ein sehr seltsamer Mann gewesen sein!» Er unterbrach sich.
«Verzeihung! Das hätte ich Ihnen gegenüber nicht sagen sollen!»
«Nun, ich glaube selbst nicht, daß
er ganz so wie andere war», stimmte sie ihm zu. «Er war sehr gutmütig und leger
und so freundlich, daß
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