Georgette Heyer
sie würde sich über den Regen ärgern, der seit
Tagesanbruch unaufhaltsam fiel, entdeckte er, daß sie im Gegenteil fröhlich in
einem Skandalroman schwelgte; das verstärkte nur seine Überzeugung, daß die
friedliche Existenz, die er für sie beide plante, sie nie befriedigen würde.
Sie reichte ihm die Hand und
schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, als sie sagte: «Erwarte ja nicht, daß
du ein einziges Wort von mir zu hören bekommst, Liebster! Ich habe hier das
amüsanteste Buch, das je geschrieben wurde. Hast du es schon gelesen? Die
meisten Hauptfiguren darin sind leicht zu erkennen, und die Identität der
anderen zu erraten ist auch nicht schwer. Ich habe seit Wochen nicht mehr so gelacht!»
Er nahm eines der Bändchen mit
Goldschnitt auf. «Wie heißt es? Glenarvon – und von einem anonymen
Schriftsteller. Ist es so ausgezeichnet?»
«Guter Gott, nein! Es ist ein
absurder Mischmasch von lauter Unsinn! Aber ich prophezeie, daß es ein Dutzend
Auflagen erlebt, weil einfach niemand von uns widerstehen kann, entweder sich
selbst oder Bekannte darin zu suchen. Hältst du das für möglich – der Autor ist
Lady Caroline Lamb! Die Lambs kommen alle drin vor, und Lady Holland ist nach
allem, was ich je über sie gehört habe, anscheinend sehr gut getroffen; nur
mochte Papa diese Gesellschaft nicht, so daß ich nie in Holland House verkehrte.
Und Lady Oxford und Lady Jersey und der arme Mr. Rogers, den sie eine gelbe
Hyäne nennt! Ich muß sagen, das finde ich ungerecht, nicht? Glenarvon ist
natürlich Byron, und das Ganze soll eine Art Rache an ihm sein, weil er mit der
Affäre mit ihr Schluß gemacht hat.»
«Guter Gott!» rief er. «Sie muß
verrückt sein, wenn sie so etwas tut!»
«Ich glaube, das ist die arme Seele
wirklich. Und am verrücktesten war sie, als sie sich Hals über Kopf in Byron
verliebte! Ich jedenfalls machte die Mode so wenig mit, daß ich ihn auf den
ersten Blick nicht ausstehen konnte. Wie sie seine unerträgliche Eitelkeit
aushalten konnte, und seine Faxen, um interessant zu wirken, weiß ich wirklich
nicht – obzwar ich sagen muß, wenn einer dieses schreckliche Lachen des Lamb
ertragen kann, dann kann ihn nichts mehr erschüttern. Nicht, daß mir William
Lamb nicht äußerst leid täte, wie immer sein Lachen sein mag! Und wenn es wahr
ist, daß er trotz allem zu ihr hält, habe ich große Achtung vor ihm. Ich nehme
an, sie wollte ihn freundlich porträtieren, aber über einiges, das sie über ihn
schreibt, muß er sich einfach vor Verlegenheit winden. Netterweise zum Beispiel
beglückt sie die Welt mit etwas, das man nur als eine Beschreibung ihrer
Flitterwochen auffassen kann – aber derart intim, daß die arme Fanny bis über
die Ohren errötete! Für William Lamb dürfte das zwar kaum erfreulich sein, aber
es schadet ihm auch nichts. Denn sie porträtiert sich in der Calantha als ein
unschuldiges Kind, das ganz geblendet von der Welt ist, ganz unwissend, voll
Vertrauen in das Gute jeder Seele, die ihr begegnet! Ein guter Witz für ein
Mädchen, das in Devonshire House aufwuchs!»
«Das alles klingt höchst
unerfreulich, milde ausgedrückt», sagte der Major. «Und so etwas gefällt dir?»
«Es ist das abscheulichste Buch, das
man sich vorstellen kann!» schaltete sich Fanny ein. «Und obwohl ich mit Lord
Byron nicht mehr als ein paar Verbeugungen wechselte, bin ich überzeugt, daß er
nie im Leben ein armes kleines Baby ermordet! Was Clara St. Everarde betrifft,
die als Page verkleidet Glenarvon überallhin folgte – wenn auch die nach einem
lebenden Vorbild gezeichnet ist und die Betreffende etwas so grob
Unschickliches tat, dann ist es nur gut, daß sie sich mit dem Pferd über eine
Klippe ins Meer stürzte – obwohl mir das Pferd außerordentlich leid tut!»
«Ei schau!» sagte Serena sehr
amüsiert. «Es ist das abscheulichste Buch, das man sich denken kann – aber sie
hat alle drei Bände gelesen!»
«Nur weil du mich fortwährend
fragst, ob ich nicht glaube, daß Lady Cahir für Lady Augusta steht – und das
weiß ich wirklich nicht! –, und weil du soviel lachst, daß ich einfach
weiterlesen mußte, nur um zu sehen, was dich so amüsierte!»
Der Major, der in dem Band, den er
in der Hand hielt, geblättert hatte, legte ihn angewidert weg. «Ich glaube,
dafür hast du dein Geld verschwendet, Serena.»
«O nein! Rotherham hat es mir in
einem Päckchen durch die Post geschickt! Ich hätte nie gedacht, daß ich ihm so
dankbar sein könnte! Er sagt, in London
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