Georgette Heyer
nicht so, du mußt aber doch zugeben, daß es keinen
Menschen gibt, der so wenig Verständnis für mich hat wie Giles. Seine Abneigung
gegen den armen Jeremy ist so schrecklich lieblos. Ich hätte nie gedacht, daß
er so stolz sein könnte, um so übertriebenen Wert auf Rang und Namen zu legen
... und so wenig auf ... auf mein Glück.»
«Das ist
nicht wahr. Wirklich, Letty, das ist nicht wahr. Er hat ganz gewiß keine
Abneigung gegen Mr. Allandale, und was deine Beschuldigung wegen Rang und
Namen betrifft, so weißt du sehr gut, was er sagte; wenn du in einem oder zwei
Jahren noch immer derselben Meinung bist, wird er seine Zustimmung nicht
verweigern. Er hat dabei immer nur dein Glück im Auge. Ich will nicht
behaupten, daß er diese Heirat besonders freudig begrüßen würde, denn wenn Mr.
Allandale auch eine angesehene Position hat, so ist er dir doch nicht
ebenbürtig. Auch die Ungleichheit eurer finanziellen Situation läßt eine
Verbindung wenig wünschenswert erscheinen.»
«Gerade das
ist es ja, was mich so empört», sagte Letty rasch. «Wäre ich ebenfalls arm,
dann sähe die Sache gleich ganz anders aus. Ich will damit nicht sagen, daß ich
dann nicht den Wunsch hätte, Jeremy zu heiraten, denn das steht außer Frage;
doch dann wären Cardross' Einwendungen wenigstens berechtigt. Es ist eine
betrübliche Überlegung, Nell, ich fürchte aber, für einen Mann in beschränkten
Verhältnissen wäre ich keine besonders erstrebenswerte Frau. Natürlich würde
ich mich bemühen zu erlernen, wie man sparsam mit dem Geld umgeht; es hat aber
keinen Sinn, sich selbst zu betrügen: ich glaube nicht, daß ich eine besondere
Begabung fürs Sparen habe.»
«Nein,
leider ... ebensowenig wie ich», stimmte ihr Nell mit einer komischen Grimasse
zu.
«Die Sache
ist die», sagte Letty tiefgründig, «wir wurden nicht dazu erzogen. Doch was hat
das schließlich zu bedeuten, wenn ich, sobald ich großjährig bin, über ein
beträchtliches Vermögen verfügen werde?»
«Ich
glaube, Cardross meint, du seiest noch zu jung, um schon jetzt eine
Entscheidung fürs Leben zu treffen», sagte Nell schüchtern.
«Verlaß
dich darauf, wenn ich einen Mann von Rang und Vermögen heiraten wollte», rief
Letty mit blitzenden Augen, «würde er das nicht sagen. Er hielt ja auch dich
nicht für zu jung, als er um deine Hand anhielt, und ich könnte schwören, dein
Papa ebenfalls nicht.»
«Nein», gab
Nell zu.
«Nein!
Hätte es sich jedoch nicht um Cardross gehandelt, dann hätte dein Papa bestimmt
diesen Einwand gemacht, selbst wenn er von guter Familie und in jeder Beziehung
ein vortrefflicher Mensch gewesen wäre. Alles ist nur Stolz und Anmaßung, und
ich für meinen Teil finde das abscheulich.»
«Nein,
nein, so war das nicht ... wenigstens nicht ganz so», rief Nell. «Ich glaube,
er wünscht, daß du eine sogenannte gute Heirat machst, er hat mir aber selbst
gesagt, wenn du in einem oder zwei Jahren noch derselben Meinung bist ...»
«Er weiß
ganz genau, daß Jeremy in einem oder zwei Jahren – und wahrscheinlich noch viel
früher! – auf einen Auslandsposten versetzt wird. Tatsächlich hat Jeremy die
allergrößten Aussichten. Wenn alles gut geht, wie er allen Grund hat anzunehmen
– doch ich darf dir nicht mehr erzählen. Bitte erwähne es nicht, Nell. Er bat mich ausdrücklich, nicht darüber
zu sprechen, solange nicht alles spruchreif ist.» Sie zögerte einen Moment,
doch dann glitt ihre Hand impulsiv in die von Neu und sie flüsterte: «Etwas muß
ich dir aber doch erzählen. Ich glaube – ich hoffe –, er wird in ganz kurzer
Zeit am Grosvenor Square Besuch machen können, um mit Cardross zu sprechen. Du
kannst wohl erraten, aus welchem Grunde. Ich sollte es dir gegenüber eigentlich
auch nicht erwähnen, aber – o Nell, du wirst uns doch unterstützen, nicht
wahr?»
... die keine Neigung zum Sparen spüren, warnte schon ein Zeitgenosse der Damen Nell und Letty. Frauen, so schrieb er, welche arme Mädchen waren, seien oft «anspruchsvoller und verschwenderischer als die, welche eine reiche Aussteuer zubrachten; indem meistensteils die reichen Mädchen nicht bloß Vermögen mitbringen, sondern auch mehr Eifer, ja angeerbten Trieb zur Erhaltung desselben als arme».
Der Mann, der die verblüffende Feststellung traf, daß Sparsamkeit erblich sei, hieß Arthur Schopenhauer.
«Nun ja,
vielleicht», sagte Nell, die nach einem Jahr intimsten Zusammenlebens mit
ihrer Schwägerin vorsichtig geworden war. «Keineswegs
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