Georgette Heyer
höchst unwillkommenes Schreiben überbracht worden. Da der Earl dem
Hauptpostamt für das Privileg, die Post am frühen Morgen zugestellt zu
bekommen, in jedem Vierteljahr fünf Shilling bezahlte, war die höfliche
Erinnerung der Madame Lavalle auf Nells Frühstückstablett gelegen, daß die
gelieferte Hoftoilette aus Chantillyspitzen noch immer unbeglichen sei. Das
war kein gerade sehr erfreulicher Beginn des Tages. Er hatte Nells Appetit
völlig vernichtet und sie mit so großer Bestürzung erfüllt, daß sie – unvernünftigerweise
– eine volle Stunde lang keinen andern Ausweg aus ihren Schwierigkeiten sah,
als die erste Postkutsche nach Devonshire zu besteigen, um bei ihrer Mama
Schutz zu suchen. Längere Überlegung ließ sie jedoch erkennen, wie unklug
dieser Weg wäre, und überzeugte sie auch, wie außerordentlich unwahrscheinlich
es war, damit zu rechnen, daß ein barmherziger Blitzstrahl auf ihr Haupt
niederzucken würde. So blieb ihr nichts anderes übrig, als Cardross die ganze
Sache einzugestehen und ergeben zu hoffen, er werde Verständnis dafür haben,
wieso es gekommen war, daß sie ihm Madame Lavalles Rechnung nicht, wie er
gewünscht, gemeinsam mit den andern übergeben hatte. Je länger sie darüber
nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, daß er es verstehen
werde. Sie war beinahe krank vor Angst, während sie sich seine strengen Worte
ins Gedächtnis zurückrief. Er hatte sie damals gefragt, ob sie bestimmt wisse,
ihm alle Rechnungen gegeben zu haben, und sie vor den schrecklichen
Konsequenzen gewarnt, wenn er entdecken müßte, daß sie ihn angelogen habe.
Obwohl er sie später gebeten hatte, nie Angst vor ihm zu haben, konnte sie
doch nicht erwarten, er würde die Mitteilung, seine Frau habe eine Rechnung
über dreihundertdreißig Guineen nur übersehen, gleichmütig aufnehmen. Es
schien sogar sehr unwahrscheinlich, daß er ihr glauben würde, sie habe die
Rechnung tatsächlich nur übersehen. Sie war über ihre Sorglosigkeit selbst
maßlos entsetzt. Sie war so überzeugt gewesen, diese Rechnung gemeinsam mit den
andern aus der mit Rechnungen vollgestopften Schublade Cardross übergeben zu
haben, daß sie, als sie Madame Lavalles Mahnung sah, zunächst dachte, die
exklusive Modekünstlerin müsse sich geirrt haben. Doch eine erregte Suche hatte
die erste Mahnung, die ganz rückwärts in der Lade eingeklemmt gewesen war, ans
Tageslicht befördert. Es war bei weitem der größte Einzelposten unter ihren
Schulden und stellte die Rechnung der Modistin weit in den Schatten, die
Cardross so verblüfft hatte. Sie wagte gar nicht daran zu denken, was er sagen
würde, geschweige denn, was er zu tun beabsichtigte. Im günstigsten Fall mußte
er sie für betrüblich verschwenderisch halten, was sie, wie sie genau wußte,
auch tatsächlich gewesen war. Er würde sehr ärgerlich sein, sich schließlich
aber doch versöhnen lassen.
Im
schlimmsten Fall – doch die Überlegung, was er im schlimmsten Fall tun könnte,
wäre für ihren Entschluß dermaßen verhängnisvoll gewesen, daß sie es gar nicht
dazu kommen ließ.
In der
kindlichen Hoffnung, ihm zu gefallen, hatte sie eine Toilette gewählt, von der
sie wußte, daß sie ihr bewunderungswürdig gut stand – wie der Arbiter des guten
Geschmacks, Mr. Hethersett, erklärt hatte. Diese kluge Wahl ihres Kleides hatte
ihr auch tatsächlich ein reizendes Kompliment eingetragen, so daß sie jetzt
sogar imstande war – nicht ohne Stolz – zu erwidern: «Nein, nein, es ist schon
bezahlt!» Nach einem Moment des Nachdenkens fügte sie aufrichtig hinzu: «Du
hast es schon bezahlt.»
«Es ist mir
eine große Befriedigung zu wissen, daß ich mein Geld in diesem Fall nicht
verschwendet habe», sagte er feierlich, doch mit fröhlich lachenden Augen.
Das war ein
weit verheißungsvollerer Anfang der Unterredung, als sie erwartet hatte. Sie
lächelte schüchtern und war soeben im Begriff, auf die peinliche Erklärung
ihrer neuerlichen Geldverlegenheit einzugehen, als er sagte: «Dann bist du
also Lettys Gesandter? Ich gebe zu, ich würde dir
mit mehr Geduld zuhören als ihr, doch in diesem Punkt bin ich fest entschlossen,
unerbittlich zu bleiben.»
Keineswegs
ungehalten darüber, von ihrem eigentlichen Thema abgelenkt zu werden, sagte
sie: «Ich sehe das natürlich ein, denn es hieße, sich in geradezu empörender
Weise wegzuwerfen. Ich glaube aber, du wirst schließlich doch deine
Einwilligung geben müssen. Ich selbst dachte, es sei nur eine
Weitere Kostenlose Bücher