Georgette Heyer
bestimmt nicht», erwiderte Cardross und erhob sich. «Denn Sie
würden mir jetzt am liebsten ins Gesicht schlagen. Und ich kann nicht einmal
behaupten, daß ich darüber sonderlich erstaunt wäre. Nichts kann einen mehr
erbittern, als gezwungen zu werden, einen Rat anzuhören, der auf einer
Erfahrung beruht, die notwendigerweise größer ist als die eigene – besonders
wenn einem die beunruhigende Ahnung aufdämmert, daß dieser Rat gut sein
könnte.»
«Mir
dämmerte keine derartige Ahnung auf», erwiderte Mr. Allandale unverzüglich.
«Und ich gestatte mir zu behaupten, daß ich über eine treuere Veranlagung zu
verfügen scheine, als es die Eurer Lordschaft ist.»
«In diesem
Fall», sagte Cardross in unvermindert guter Laune, «erwarte ich, Sie nach
Ihrer Rückkehr aus Rio de Janeiro wiederzusehen. Inzwischen nehmen Sie meine
besten Wünsche für eine erfolgreiche Tätigkeit in diesem bekömmlichen Klima!»
«Untersagen
Sie mir, mit Lady Letitia weiterhin in Kontakt zu bleiben?» fragte Mr.
Allandale, etwas zögernd die dargebotene Hand ergreifend.
«Mein sehr
verehrter Herr», sagte Cardross, «seien Sie versichert, daß ich weder so
altmodisch noch so hirnverbrannt bin. Ich glaube, Sie werden Letty noch in
ziemlich vielen Gesellschaften treffen. Was aber heimliche Zusammenkünfte
anbelangt, so bin ich überzeugt, daß Ihr Sinn für Korrektheit Schutz genug
ist.»
«Jegliche
Form der Heimlichkeit widerspricht meiner Veranlagung», erklärte Mr. Allandale.
«Ich kann Sie nur bitten, Sir, sich die Angelegenheit nochmals zu überlegen,
ehe Sie das Glück zweier Menschen vielleicht für immer vernichten, von welchen
Ihnen einer teuer ist – oder zumindest teuer sein sollte! Ich muß Ihre
Andeutung über die Möglichkeit einer Wandelbarkeit meiner Gefühle mit allem
Nachdruck zurückweisen. Aber ich kenne die Künste zu gut, die in fashionablen
Kreisen geübt werden, um einem unwürdigen Objekt die Zuneigung eines jungen
Mädchens wie Lady Letitia abspenstig zu machen. Dem Stolz und dem äußeren
Schein wird alles geopfert! Befände ich mich in besseren Vermögensverhältnissen,
dann könnte mich, wie ich glaube, kein Gedanke an
Schicklichkeit davon abhalten... Doch es hat keinen Zweck weiterzusprechen.»
«Keinen wie
immer gearteten», pflichtete ihm Cardross bei und schritt ihm voran zur Tür.
«Es könnte sogar dazu führen, daß ich eine Abneigung gegen Sie fasse, und das
wäre, wie Sie wohl wissen, für Ihre Chancen äußerst verhängnisvoll!»
3
Alle Pläne, die Letty gehabt haben
mochte, um ihren geliebten Jeremy bei seinem Weggehen abzufangen, wurden durch
den Earl zunichte, da er ihn bis zur Haustür begleitete, ja sogar so lange wartete,
bis er das Haus verlassen hatte. Hierauf schlenderte er in die Bibliothek
zurück; nach einigen Augenblicken des Zögerns auf dem Treppenabsatz, von dem
aus Letty die Verabschiedung Mr. Allandales beobachtet hatte, lief sie
leichtfüßig hinunter und begab sich gleichfalls in die Bibliothek.
Cardross,
der damit beschäftigt war, einen Federkiel zurechtzuschneiden, blickte auf,
als er seine Halbschwester eintreten hörte und, eine drängende Frage in den
ausdrucksvollen Augen, gegen die Tür gelehnt sah. Er unterbrach seine Arbeit
und sagte mit einem Lächeln, das um seine Mundwinkel zuckte: «Letty, du dumme
Gans! Dachtest du wirklich, ich könnte der Beredsamkeit dieses unglücklichen
jungen Mannes erliegen? Bitte verzeih mir, wenn ich das sage – aber er ist ein
gräßlich langweiliger Hund!»
«Daraus
mache ich mir nichts», sagte sie und schluckte ihre Tränen tapfer hinunter.
«Für mich ist er nie langweilig. Ich liebe ihn!»
«Das muß
tatsächlich der Fall sein. Denn ich hätte es nie für möglich gehalten, daß du an
diesem Mann Gefallen finden könntest.»
«Nun, darin
irrst du eben. Und wenn du auch mein Vormund bist, so werde ich mich nie darein
fügen, mir von dir einen Gatten auswählen zu lassen.»
«Ganz gewiß
nicht. Es ist klar, daß ich dafür wenig Begabung habe.»
Ein
Hoffnungsstrahl blitzte in ihren Augen auf. Sie trat dicht zu ihm und legte
eine Hand liebkosend auf seinen Arm. «Liebster Giles, bitte, darf ich
ihn heiraten?»
Er
streichelte ihr liebevoll die Hand und sagte: «Natürlich, Letty, wenn du etwas
älter bist.»
«Aber,
Giles, du verstehst die ganze Sache nicht richtig! Er fährt doch nach
Brasilien!»
«Das sagte
er mir.»
«Glaubst du
vielleicht, es würde mir nicht passen, dort zu leben? Ich glaube, das Klima
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