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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lady April
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bei, bereits überreizte Nerven zu beruhigen. Die
Überzeugung, ohne Freunde zu sein und überdies grausam verfolgt zu werden,
begann sich in Nells Denken festzusetzen. Sie versank in abgrundtiefe
Melancholie. Einmal sah sie ihre Schuldsumme für groß genug an, um einen Nabob
zugrunde zu richten, dann wieder erschien ihr Cardross als bitterböser Geizhals
mit einem Herzen aus Stein.
    In dieser
zerrissenen Gemütsstimmung entstieg sie soeben ihrer Barutsche und hatte es
nur ihrem Kutscher zu verdanken, daß sie andern Sinnes wurde. Er fragte zwar
nur, ob sie die Equipage heute nochmals benötige, aber die Erwähnung der
wunderbaren Equipage allein zerstreute ihre ungerechten Gedanken über
Cardross. Einzig und allein weil sie die Barutsche einer ihrer Freundinnen
einmal bewundert hatte, beschenkte er sie bei ihrem Einzug in das Palais
Cardross mit einem Wagen zu ihrer alleinigen Verfügung und mit einem
Pferdepaar, das jedes andre Gespann in London in den Schatten stellte. Sie
hatte das berühmte Cardross-Halsband nie sehr gerne gehabt – es war eine zu
schwer in Gold gefaßte, eher furchteinflößende Anhäufung von Smaragden und
Brillanten. Anstatt gekränkt zu sein, hatte er ihr geraten, es nur bei ganz
offiziellen Gelegenheiten anzulegen, und ihr statt dessen einen bezaubernden
Brillantanhänger geschenkt. «Für den täglichen Gebrauch», hatte er mit jenem
Lächeln in den Augen gesagt, durch das er ihr Herz gewonnen.
    Ihre
schwarze Melancholie verwandelte sich flugs in härteste Selbstkritik. Und
Cardross wurde aus einem tyrannischen Geizhals der großzügigste und zugleich
grausamst behandelte Mann unter der Sonne. Sie selbst war aber die Verkörperung
des Egoismus, der Verschwendungssucht und Undankbarkeit. Und wenn man Dysart
glauben durfte, hatte sie diesen Lastern auch noch Verblendung und Dummheit
hinzugefügt. Es schien ihr jetzt wie ein Wunder, daß Cardross so lange Zeit
Geduld mit ihr hatte. Vielleicht bedauerte er bereits die Regung, welche ihn
veranlaßte, um sie anzuhalten; vielleicht hatte ihn auch der Abscheu vor ihrer
Kälte und Verworfenheit zu Lady Orsett zurückgetrieben.
    Ein Jahr
zuvor hatte Nell, von ihrer Mama belehrt, allen Mut zusammengerafft, um die
Realität dieser Lady Orsett als das unvermeid liche Kreuz hinzunehmen, das
eine Frau mit Würde zu tragen hatte. Doch zwischen dem jungen Mädchen, welches
geglaubt hatte, eine Konvenienzehe einzugehen, und der jungen Frau, die zu der
Erkenntnis gelangt war, daß es sich um eine Liebesheirat handelte, bestand ein
ungeheurer Unterschied. Mama hätte ihre gehorsame, wohlerzogene Tochter kaum
in der jungen Frau mit den strahlenden Augen wiedererkannt, die zwischen
zusammengepreßten Zähnen hervorstieß: «Sie soll ihn nicht haben!»
    Diese
Entschlossenheit, so großartig sie auch sein mochte, bestärkte sie nur in ihrem
Vorsatz, die Rechnung von Madame Lavalle zu regeln, ohne sich an Cardross zu
wenden. Ihrer Ansicht nach vermochte nichts ihre ganze Zukunft sicherer aufs
Spiel zu setzen, als ihren Gatten durch Schmeicheleien verführen zu wollen,
während sie ihm gleichzeitig neuerliche Schulden einbekannte. Er mußte ganz
bestimmt annehmen, sie wolle ihm mit dieser verächtlichen Schmeichelei nur
etwas vortäuschen – und das konnte nur den Widerwillen eines sensitiven Mannes
erregen.
    Ihre
Gedanken flogen eine Sekunde zu Dysarts Vorschlag, etwas von ihren Juwelen zu
verkaufen. Natürlich nicht die Geschenke von Cardross, aber vielleicht doch die
Perlen, die Mama ihr gegeben hatte? Aber alles in ihr sträubte sich dagegen. Es
waren Mamas eigene Perlen, die sie für ihre älteste Tochter eifersüchtig
aufbewahrt und mit so rührender Zärtlichkeit und Liebe geschenkt hatte. Die
Umstände hatten die arme Mama gezwungen, fast ihren gesamten Schmuck zu
verkaufen; ihre Perlen bewahrte sie jedoch während der schrecklichsten
Geldverlegenheiten auf, und wenn ihre Tochter sie jetzt nur aus dem Grund
verkaufte, um eine extravagante Toilette zu bezahlen, würde sie sich für alle
Zeiten mit Schmach und Schande bedecken.
    Eine recht
kurze Überlegung überzeugte Nell, daß es nur einen einzigen Weg gab, um die
dreihundert Pfund zu erhalten. Sie mußte sich das Geld ausleihen.
Unerwarteterweise hatte Dysart diesen Weg streng verurteilt, doch Nell wußte,
daß selbst Mama mit einem Geldverleiher zu tun gehabt hatte, so daß Geld auf
Zinsen zu borgen, wenn auch ein kostspieliges Verfahren, so doch kein
Verbrechen sein konnte. Papa hatte es

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