Georgette Heyer
Stelle aus dem Haus geworfen.
Da sie aber keinen Stellvertreter bei der Hand hatte und an
Lettys Bereitwilligkeit, diesen zu akzeptieren, denn doch zweifelte, sah
sie sich gezwungen, ihr möglichstes aus dem aussichtslosen Material zu machen,
das ihr zur Verfügung stand. «Ich bin überzeugt, Sie werden
sich durch so kleinliche Bedenken nicht zurückhalten lassen, an Lettys Seite zu
eilen», sagte sie. «Bedenken Sie nur ihre Erregung! Sie ist vor Verzweiflung
außer sich, und es wäre kein Wunder, wenn sie den Verstand völlig verlieren
würde.»
Mr.
Allandale war auch nur ein Mensch. Das furchtbare Bild, welches durch diese
Worte heraufbeschworen wurde, nahm ihm alle Widerstandskraft, und er folgte Selina
ohne weiteren Widerspruch über die Treppe nach oben.
«Teuerste»,
kündigte Selina an, während sie die Tür zum Salon offenhielt, «hier bringe ich
ihn dir.»
Mr.
Allandales verzweifelte Angebetete, welche soeben die Wirkung eines andern
Schwungs ihres bezaubernden Hütchens ausprobierte, wandte sich
vom Spiegel ab und zeigte ihm ein Antlitz, das vor Schönheit und Gesundheit
strahlte. «Dem Himmel sei Dank, daß du gekommen bist»,
sagte sie. «Ich machte mir schon große Sorgen, weil ich dachte, es wäre dir
vielleicht unmöglich, hierherzukommen. Aber ich hätte ja wissen müssen, daß du
es auf irgendeine Weise bewerkstelligen würdest. Lieber Jeremy!»
Selina
hätte diese Rede wohl verbessern können, sie fand aber an der Art nichts
auszusetzen, in welcher sich Letty an Mr. Allandales breite Brust warf und
beide Arme um seinen Hals schlang. Es war ein Schauspiel, das Cardross wohl
dazu getrieben hätte, sein Mündel einem strengen Pensionat für junge Damen der
Gesellschaft zu übergeben. Doch Selina gewährte es einen unaussprechlichen
Genuß, wenn es sich auch um das Glück anderer handelte. Sie verweilte lange
genug, um zu sehen, daß Mr. Allandale, ungeachtet seiner Korrektheit, diese
ungekünstelte impulsive Umarmung mit einem Feuer erwiderte, das Letty aufschreien
und dagegen protestieren ließ, daß er ihr die Rippen zerdrücke, worauf sie sich
widerstrebend zurückzog, um auf dem Treppenabsatz ihren Wachposten zu beziehen.
Mr.
Allandale, der einen besorgten Blick über die Schulter warf, atmete
erleichtert auf, als er bemerkte, daß Selina das Zimmer verlassen hatte. Er
lockerte seine Umarmung und sagte sehr ernst: «Du weißt, mein Liebling, daß
sich das keineswegs schickt! Deine Cousine ...»
«Ach,
kümmere dich nicht weiter um sie», erklärte Letty. «Sie würde uns nie
verraten.»
«Nein, aber
für ein Mädchen ihres Alters – sie ist, wie ich glaube, noch nicht einmal
eingeführt – ist es schrecklich unpassend.»
«Ach,
Unsinn!» sagte Letty und zog ihn zu dem Sofa, auf das sie sich neben ihm
niederließ. «Jeremy, wir haben soviel zu besprechen. Das ist ja eine
entsetzliche Nachricht, die du mir schicktest! In sechs Wochen! Oh, Liebster,
bitte, sag ihnen, daß du nicht wegfahren willst.»
Mr.
Allandale war jetzt bereits ziemlich gut mit den seltsamen Ansichten seiner
Liebsten vertraut, doch diese naive Bitte überraschte ihn denn doch. «Nicht
wegfahren? Aber, mein süßestes Herz ...»
«Es bleibt
uns zu kurze Zeit», drängte sie. «Bedenke die Schwierigkeiten, welchen wir die
Stirn bieten müssen, wenn du schon in sechs Wochen fährst. Ich bin leider
überzeugt, daß ich Giles in so kurzer Zeit niemals überreden kann, seine
Einwilligung zu unserer Heirat zu geben.»
Er
bemächtigte sich ihrer Hände und hielt sie fest umschlossen. «Letty, du wirst
ihn nie dazu bewegen können, einzuwilligen», sagte er düster. Sie starrte ihn
an und bekam vor Erstaunen ganz runde Augen. «Du sagst nie? Ach, wie
lächerlich! Natürlich gelingt es mir! Es ist nur deshalb, weil alles so
plötzlich kommt, ehe er sich an den Gedanken gewöhnt hat, verstehst du?»
Er
schüttelte den Kopf. «Er wird alles tun, was in seiner Macht steht, um unsere
Heirat zu verhindern. Dessen bin ich seit dem Tag, an dem ich am
Grosvenor Square Besuch machte, so sicher, wie ein Mensch nur sein kann. Ich
kann es ihm auch gar nicht verübeln. Vom gesellschaftlichen Standpunkt ...»
«Nun, ich
nehme es ihm sehr übel», unterbrach ihn Letty mit blitzenden Augen und
beträchtlich geröteten Wangen. «Wenn ich mich nicht einen Deut
um gesellschaftliche Erwägungen kümmere, dann braucht er es ganz gewiß nicht zu
tun. Und wenn ihm mein Glück so wenig bedeutet, dann fühle ich mich völlig
gerechtfertigt, dich,
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