Georgette Heyer
nach war nichts so
albern wie Marias Heirat mit Mr. Thistleton, wenn man von einer Verlobung
Fannys mit Mr. Humby absah – ein
Ereignis, welches am Abend zuvor eingetreten war. Keine der beiden jungen Damen
war dem geringsten Widerstand begegnet, da sich beide
Gentlemen im Besitz sowohl eines ansehnlichen Vermögens wie auch einer
ausgezeichneten gesellschaftlichen Position befanden, die sie zu
begehrenswerten Bewerbern stempelten. Fannys Verlobung war vielleicht noch
etwas erträglicher gewesen als die von Maria. Mr. Humby war den Thornes völlig
unbekannt gewesen, ehe er Fanny die Cour zu machen
begann. Das war, wie man zugeben mußte, weniger kläglich als Marias Vermählung
mit John Thistleton, den sie ihr ganzes Leben lang gekannt
hatte. Miss Selina Thorne wäre vom Schicksal grausam enttäuscht
gewesen, wenn es ihr keinen feurigen Anbeter von so hoffnungsloser
Ungeeignetheit zugedacht hätte, daß sie ihr den entschiedensten mütterlichen
Widerstand, im Verein mit Verfolgungen sicherte. Sie war entschlossen,
all dies mit dem größten Heroismus zu ertragen, wenn es nur schließlich seinen
Höhepunkt in einer Entführung fand. Während sie das
Erscheinen dieses Gentleman auf dem Horizont erwartete, hatte sie
beschlossen, sich Lettys Fall mit Herz und Seele anzunehmen. Es bereitete ihr
keinerlei Schwierigkeiten, Cardross mit allen Merkmalen eines
Tyrannen auszustatten; und wenn Mr. Allandales Korrektheit zunächst darauf
schließen ließ, daß wenig Hoffnung bestand, ihn zu einer verwegenen Tat zu
veranlassen, kam sie bald zu der Überzeugung, daß dies nicht der Ausdruck
angeborener Korrektheit sei, sondern einem interessant zurückhaltenden
Wesenszug zuzuschreiben war.
Sie
berichtete Letty soeben von den wahrhaft erniedrigend beifälligen
Gratulationen, welche der Nachricht von Fannys Verlobung folgten, als sie Mr.
Allandale gewahrte, der dem Hause zustrebte. Sie brachte ihren Plan
unverzüglich zur Ausführung und eilte so schnellfüßig über die Treppe, daß sie
die Haustür bedeutend früher erreichte als er und ihre Aufforderung,
einzutreten und nichts zu befürchten, lediglich der leeren Luft
mitteilte. Mr. Allandale traf jedoch alsbald ein; und da sie ihren
Willkommsspruch – wenn auch unbeabsichtigt – bereits einmal vorgebracht
hatte, war sie imstande, ihn außerordentlich zu verbessern. «Ich wußte, Sie
würden uns nicht im Stich lassen», begann sie. «Ich werde Sie sogleich zu Letty
geleiten. Fürchten Sie nicht, gestört zu werden. Keine Menschenseele weiß von
Ihrem Kommen. Still!»
Mr.
Allandale, bereits von der Tatsache überrascht, daß eine Tochter des Hauses ihm
geöffnet hatte, blinzelte sie verwirrt an. «Wie bitte?» sagte er. «Sprechen Sie
nicht so laut», ermahnte sie ihn. «Die Dienerschaft darf von Ihrer Anwesenheit
nichts merken.»
«Ja, wieso
denn?» fragte er. «Ist Mrs. Thorne denn nicht zu Hause?»
«Nein, nein. Sie haben
nichts zu befürchten», versicherte sie ihm. «Sie ist mit meiner Schwester in
die Stadt gefahren. Sollten sie unerwartet zurückkehren, können Sie sich
darauf verlassen, daß ich Sie rechtzeitig warne.»
«Ich dürfte
überhaupt nicht hier sein», sagte er und sah sehr ärgerlich aus. «Es ist
außerordentlich inkorrekt, das Haus von Mrs. Thorne in ihrer Abwesenheit zu
betreten.»
Selina
wurde von seiner prosaischen Haltung denn doch etwas eingeschüchtert, gewann
ihren Mut aber tapfer zurück. «Das ist nicht der Zeitpunkt,
um sich über Korrektheiten Gedanken zu machen», sagte sie streng. «Ihr Fall ist
verzweifelt, und wenn sich meine Cousine auch noch so sehr bemüht, ihren Mut
unter diesem vernichtenden Schlag aufrechtzuerhalten, so befindet sie sich
doch in einem Zustand tiefster Verzweiflung. Sie müssen sich unverzüglich zu
ihr begeben.»
Der Gedanke
an Lettys Verzweiflung ließ Mr. Allandale erbleichen. Er zögerte jedoch noch
immer. «Ich war nicht darauf gefaßt, daß dieses Rendezvous
verstohlener Natur ist», sagte er. «Ich kann es nicht für richtig halten! Ich
versicherte Lord Cardross, daß ein derartiges Verhalten meinen Abscheu errege,
und Ihre Cousine auf diese Art hinter seinem Rücken zu besuchen, kann man
nicht mehr als eines Ehrenmannes würdig erachten!»
In keinem
der romantischen Träume Selinas hatte sich ein Liebender befunden, den man dazu
nötigen mußte, sich zu seiner Angebeteten zu begeben.
Hätte sie einen Stellvertreter gefunden, um seinen Platz in dem Drama
einzunehmen, so hätte sie Mr. Allandale auf der
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