Georgette Heyer
liebe! Du weißt
eben nicht, was es heißt, jemanden ewig zu lieben!»
Er ließ
ihre Hand los. «Du irrst», sagte er in gleichmütigem Ton. Damit wandte er sich
von ihr ab, um eine gleichgültige Bemerkung an Nell zu richten.
Letty
errötete lebhaft und rief: «Ich irre mich nicht! Du kannst dir wohl einbilden,
ein Herz zu besitzen, du hast jedoch keines. Es paßt dir gewiß nicht, wenn man
dir's sagt, es ist aber doch wahr!»
Er sagte über
die Schulter: «Letty, du wirst nicht nur tödlich langweilig, sondern es fehlt
dir ebenso an Manieren wie an Verstand. Lasse dir von mir sagen, daß du, ehe du
nicht gelernt hast, dich mit Anstand zu benehmen, für einen Diplomaten die
denkbar ungeeignetste Frau wärest.»
«Jeremy»,
sagte Letty mit wogendem Busen, «hält mich für vollkommen!»
«Wodurch
ich», rief ihr Cardross nach, als sie aus dem Zimmer stürzte, «keine besonders
hohe Meinung von seinem Verstand gewinne.»
Nell
lächelte, sagte aber, während sie sich aus ihrem Sessel erhob: «Ich glaube, ich
sollte ihr nachgehen. Sie war den ganzen Tag niedergeschlagen und bedrückt,
und du weißt ja, wie es mit ihr ist. Wenn sie glücklich ist, kenne ich
niemanden, der so fröhlich ist; eine Minute später kann sie aber völlig
verstört sein, und dann erschöpft sie sich in einem Tränenstrom.»
«Ich habe
recht wenig übrig für ihre verrückten Launen», erwiderte er. «Die Wahrheit ist,
sie wurde zu sehr verwöhnt und kann es nicht ertragen, wenn nicht alles nach
ihrem Willen geschieht.»
«Ja»,
stimmte sie zu. Du wirst andrerseits aber doch nicht wollen, daß sie solange
weint, bis sie zu fiebern beginnt.»
«Ach,
Unsinn!» sagte er gereizt, fügte aber nach einem Moment des Überlegens hinzu:
«Ich wünsche keinesfalls, daß sie dich mit ihren unberechenbaren Launen
bedrückt. Vermutlich wird das wochenlang so weitergehen. Man kann aber nichts
tun, solange Allandale nicht abgereist ist. Wie wäre es aber, wenn wir,
anstatt nach Beendigung der Saison nach Merion zu fahren, ein Haus in Brighton
mieten würden? Erinnerst du dich, wie böse sie war, als ich es ablehnte, sie
dorthin mitzunehmen? Ich bekam eine ganze Woche nichts andres als ein böses Gesicht
zu sehen. Gut. Prinneys Gesellschaften sind zwar nicht das, was ich für sie
auswählen würde, doch wenn es sie amüsieren sollte, hinzugehen ...»
«Vielleicht
würde es sie ein wenig zerstreuen», antwortete Nell. Sie sah auf, und fügte
nach kurzem Zögern hinzu: «Wahrscheinlich allerdings sehr wenig. Ich möchte
dich nicht ärgern, Cardross, ich glaube aber, du hast diese Angelegenheit nicht
richtig erfaßt. Du hoffst, Letty werde Mr. Allandale vergessen. Das wird sie
aber nie tun. Siehst du – sie liebt ihn nämlich.»
«Ein Kind
ihres Alters! Was versteht sie denn davon?»
Nell
errötete, es gelang ihr jedoch, obwohl es ihr nicht leicht fiel, zu sagen: «Ich
war nicht viel älter, als ... als du um meine Hand anhieltest.»
Cardross
sah sie erstaunt und sehr aufmerksam an. Er antwortete nicht sogleich, und als
er das Wort ergriff, geschah es mit einer gewissen Absicht: «Nein. Das warst du
wohl nicht, was?»
10
Der folgende Tag verlief recht
trübselig und wurde erst gegen Abend angenehm belebt, als Gäste zu einer
Loo-Partie eintrafen. Er hatte mit einem neuerlichen Mahnschreiben der Madame
Lavalle recht ungünstig begonnen, was Nell in einen derart fieberhaft erregten
Zustand versetzte, daß sie sich nicht länger zurückzuhalten vermochte und
Dysart einen Brief in seine Wohnung schickte, in dem sie ihn beschwor, ihr entweder
zu sagen, was sie tun solle, oder bei einem «anständigen» Wucherer für sie eine
Anleihe aufzunehmen. Kaum war dies geschehen, als Martha mit einer Botschaft
ihrer Herrin eintrat. Letty war, wie es schien, nach einer unruhigen Nacht mit
heftigen Zahnschmerzen erwacht und bat, davon dispensiert zu werden, ihre
Schwägerin bei der Vormittagsvisite bei den Misses Berry in der North Audley
Street begleiten zu müssen.
Nell fand
die arme Leidende noch immer im Bett. Sie hatte ein wenig müde Augen,
sah jedoch außerordentlich hübsch aus, ohne die geringsten Spuren einer
geschwollenen Backe. Das schien ein Beweis zu sein, daß es sich wenigstens um
keine Beinhautentzündung handelte; doch als Letty mit ersterbender Stimme
ankündigte, sie glaube, die Schmerzen würden nachlassen, wenn sie ruhig im
Bett bliebe, beharrte Nell standhaft auf ihrer Forderung, sie müsse den
Zahnarzt aufsuchen. Sie war über Lettys
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