Georgette Heyer
Herz zu brechen, da ich dieses vergnügliche Leben weiter
fortsetze. Aber diese Genugtuung soll er nicht haben, und das kannst du ihm von
mir ausrichten. Ich werde nicht gehen!»
«Letty, du
mußt wirklich gehen», sagte Nell sehr ernst. «Du kannst bestimmt nicht wollen,
daß deine Privatangelegenheiten Gegenstand des Tratsches werden. Denke nur
dran, wie ärgerlich du warst, als Lady Sefton und Lady Cowper am Sonntag hier
waren und sich zu entdecken bemühten, was an den umherschwirrenden Gerüchten
wahr ist. Bitte trage deine Gefühle nicht vor allen Leuten zur Schau, mein
Herz. Es ist unschicklich.»
«Ich will
aber nicht gehen», wiederholte Letty störrisch.
«Wohin
willst du nicht gehen?» fragte Cardross, welcher das Zimmer noch rechtzeitig
betrat, um diese Worte zu hören.
«Ich will
Nell nicht nach Osterley begleiten. Mir ist's auch egal, wenn die Leute
klatschen!»
«Selbstverständlich
wirst du nach Osterley fahren», sagte er ruhig. «Welche Entschuldigung könntest
du für eine Absage finden?»
«Ich habe
Nell bereits gesagt, daß ich entsetzliche Schmerzen habe, und wenn sie es nicht
glauben will, soll sie es bleiben lassen, aber keiner von euch kann mich
zwingen hinzufahren!»
«Was? Nell
glaubt dir nicht? Wie herzlos von ihr! Ich glaube dir, mein Liebling, und werde
unverzüglich jemanden zu Dr. Baillie schicken und ihn bitten lassen,
hierherzukommen.» Er fügte mit einem flüchtig aufblitzenden Lächeln hinzu:
«Meine eigenen Verpflichtungen sind nicht so besonders wichtig, so daß ich dir
versprechen kann, bei dir zu Hause zu bleiben.»
«Da gehe
ich noch lieber nach Osterley, als deine Gesellschaft zu ertragen», rief Letty
zitternd vor unterdrückter Wut.
«Ja, das
dachte ich mir», bemerkte er und öffnete ihr die Tür. Er sah Nell mit fragend
emporgezogenen Augenbrauen an und sagte, während er die Tür wieder schloß:
«Welchen Unfug heckt sie jetzt wieder aus? Ein heimliches Rendezvous mit
Allandale?»
«Ich weiß
es nicht», sagte Nell bekümmert. «Ich hoffe nicht, doch ich muß gestehen, ich
bin ihretwegen beunruhigt: sie tut mir zwar aufrichtig leid, doch es wäre ganz
und gar ungehörig, sich mit ihm auf diese Art zu treffen. Bitte erwähne ihr
gegenüber nichts davon, aber ich fürchte, sie hat ihre Vorliebe für ihn so
deutlich erkennen lassen, daß in gewissen Kreisen bereits über sie geklatscht
wird.»
«Zum
Teufel! Dann gib nur acht, daß sie dir nicht entwischt. Heimliche Rendezvous
dulde ich unter keinen Umständen!»
«Nein,
Cardross, gewiß nicht. Ich habe mich aber gefragt, ob du mir gestatten würdest,
Mr. Allandale zum Dinner einzuladen, bevor er England verläßt. Die arme Letty!
Es wäre sehr schwer für sie, wenn man ihr nicht einmal die Möglichkeit gäbe,
sich von ihm zu verabschieden.»
«Soll ich
damit etwa eine Verlobung unterstützen, die ich aufs äußerste mißbilligen
würde?» fragte er spöttisch.
«Nicht mehr
als dadurch, daß du ihnen versprachst, heiraten zu dürfen, wenn er aus
Brasilien zurückkehrt», drängte sie. «Ich bin überzeugt, wenn du ihr dieses
Beisammensein gestattest, wäre sie dir für deine Güte sehr dankbar. Dann hätte
sie auch keinen Grund mehr, ihn hinter unserm Rücken treffen zu wollen.»
Er sah sehr
skeptisch aus, zuckte jedoch mit den Achseln und sagte: «Also gut, tue, was du
für richtig hältst.»
«Danke. Ich
werde es ihr gleich sagen und hoffe, daß es sie ein wenig trösten wird.»
Doch Letty
verriet bei der Ankündigung der ihr zugedachten Freude keinerlei Enthusiasmus.
Und als Nell ihr die Unschicklichkeit, Mr. Allandale heimlich zu treffen, vor
Augen führte, erhielt sie keine zufriedenstellende Antwort. Sie saß neben Nell
in der Equipage und sah wie die Verkörperung
der Unzufriedenheit aus. In Osterley geriet sie jedoch in etwas fröhlichere
Stimmung. Sie war für Bewunderung immer empfänglich, und alles machte ihr
Komplimente über ihre bezaubernde Erscheinung in einer neuen, ungemein
schicken Toilette aus zart zitronenfarbenem Crêpe, die über einem Unterkleid
aus weißem Taft getragen wurde. Nell bemerkte zu ihrer großen Erleichterung
sehr bald, daß sie ihre Trauermiene vollkommen aufgegeben hatte und anscheinend
bereit war, sich aufs beste zu amüsieren.
Kurz nach
Mittag öffnete der Türsteher des Palais Cardross dem Viscount Dysart das Tor.
Seine Lordschaft war noch in Reisekleidung, er trug Breeches und Reitstiefel,
betrat die Halle und fragte nach seiner Schwester. Nachdem er erfahren
Weitere Kostenlose Bücher