Georgette Heyer
nur, was das für
einen Eindruck machen würde!»
«Wenn ich
meine Tante Honoria richtig beurteile, hätte sie keine Chance durchzubrennen»,
sagte er mit einem seltsamen Lächeln. «Glaube nur ja nicht, daß ich den Wunsch
habe, sie wegzuschicken. Sie ist ein lästiges kleines Ding, und wenn sie zu
zanken und zu streiten beginnt, könnte ich ihr mit Wonne den Hals umdrehen,
aber man muß ihrer mangelhaften Erziehung so viel zugute halten, daß ich das
Gefühl habe, sie verdiene kein so schreckliches Schicksal, wie diesem
weiblichen Drachen ausgeliefert zu werden. Ich wünsche aber auch nicht, daß
sie dich mit diesem Unsinn bis zur Erschöpfung quält.»
«Das ist
bestimmt nicht der Fall, und ich bitte dich herzlich, lasse es dir nicht im
Traum einfallen, sie zu Tante Honoria zu schicken. Einer Sache kannst du gewiß
sein: eine Entführung brauchst du nicht zu befürchten!»
«Nein, das
ist wahr», stimmte er zu. «Da Allandale außerstande ist, eine Frau zu erhalten,
kann man diesen Unglücksfall außer Betracht lassen.»
«Ja, aber
das ist nicht ganz gerecht», sagte sie vorwurfsvoll. «Er mag für die arme Letty
kein wünschenswerter Gatte sein, du kannst aber nicht bestreiten, daß er
strenge Grundsätze hat und daß sein Sinn für Schicklichkeit zu groß ist, um ihm
auch nur den Gedanken an eine Entführung zu gestatten, wie sehr sein Glück auch
daran hängen mag.»
«Schon
möglich, daß seine Grundsätze, was die Schicklichkeit anbelangt, wohlfundiert
sind, aber von seiner Entschlossenheit habe ich andrerseits keine übertrieben
hohe Meinung», erwiderte Cardross. «Stünde sie
nämlich auf derselben Stufe, dann hätte er es, wie die Dinge nun einmal liegen,
nie so weit kommen lassen, sich Letty in den Kopf zu setzen, um bei mir
schließlich auch noch um ihre Hand anzuhalten. Sie kann eine bezaubernde kleine
Teufelin sein, wenn es ihr beliebt, und ich wäre sehr erstaunt, wenn sie ihn
nicht wie einen Zirkusbären an der Nase herumführt. Ich verlasse mich einzig
und allein auf seine beschränkten finanziellen Verhältnisse. Wir werden Letty
also in London behalten ... aber du darfst mir nachher keine Vorwürfe machen,
wenn sie dich an den Rand des Wahnsinns treibt.»
Mit diesen
Worten verließ er das Zimmer. Nach einer taktvollen Pause kehrte Miss Sutton
wieder, um mit stolzer Würde ihre Aufgabe zu vollenden, ihre Herrin für ihr
Erscheinen in der Chapel Royal angemessen zu coiffieren und anzukleiden.
Da die Zeit
jedoch bereits zu weit fortgeschritten war und Nell fürchtete, bei ihrem
Eintritt in die Chapel Royal nur unerwünschtes Aufsehen zu erregen, entließ sie
ihre Equipage und begab sich zu Fuß in die Grosvenor Chapel. Dieses
Gotteshaus, obwohl von Personen der vornehmen Gesellschaft frequentiert, war
der größten Anstrengungen von Miss Sutton jedoch kaum würdig. Letty begleitete
Nell, nachdem diese der tief gekränkten jungen Dame, in der Hoffnung, daß die
religiöse Übung sie in eine angemessenere Geistesverfassung versetzen werde,
lange liebevoll zugeredet hatte, mit ihr zu kommen. Bedauerlicherweise kündigte
der Geistliche als Text für seine Predigt einen Vers aus dem Philipperbrief
des Apostels Paulus an: «Tut nichts aus Streitsucht oder eitler Hoffart. In
Demut achte jeder den andern höher als sich selbst.» Nell fühlte, wie Letty
sich verhärtete.
Auch die
folgende Predigt enthielt nichts, um in einer der beiden Damen Gedanken zu
erwecken, die des Sabbats würdig waren. Die Worte des Geistlichen paßten so gut
auf die morgendlichen Ereignisse, daß Nell, weit entfernt davon, Erbauung zu
finden, die größte Mühe hatte, einen Anstoß erregenden Lachkrampf zu
unterdrücken. Doch die zornbebende Letty war nachher nicht zu überzeugen, daß
Cardross den unschuldigen Geistlichen keineswegs bestochen hatte, diesen Text
zu wählen, der sich direkt gegen sie zu richten schien.
Bei ihrer
Rückkehr auf den Grosvenor Square fand Nell ein Billett von Dysart vor. Nein,
teilte ihr der Türsteher mit, Seine Lordschaft waren nicht persönlich
erschienen, sondern hatten das Billett durch seinen Groom geschickt. Nell nahm
es mit in ihr Ankleidezimmer, um es ungestört lesen zu können. Der Inhalt war
aber enttäuschend. Der Viscount hatte nicht mehr als zwei Zeilen hingekritzelt,
um ihr mitzuteilen, daß er ihre Warnung erhalten habe und sich bemühen werde,
Cardross aus dem Weg zu gehen. Er verblieb ihr sie liebender Bruder Dysart. Sie
mußte ihre ganze zur Verfügung stehende
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